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Matzbach

Posted on 11.9.2022

1764 unterschreiben in der kleinen französischen Stadt Angoulême 83 Menschen als Zeugen einen Heiratsvertrag, die meisten persönlich, einige, des Schreibens unkundig, werden vertreten. Damit entsteht die Familie der Allemand-Aymard. Die Historikerin Emma Rothschild hat in ihrem Buch "Eine Hochzeit in der Provinz" deren Spuren in der Geschichte, aber auch die der Signatare, über gut 150 Jahre nachvollzogen, eine wahre Fleißarbeit. Zu gute kam ihr dabei sicherlich die hervorragende Quellenlage, denn die französischen Personenstandsarchive, erst von der Kirche, seit der Revolution vom Staat geführt, sind offensichtlich in einem guten Zustand (ich möchte ehrlich gesagt gar nicht wissen, wie viele deutsche Archive den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg und dem anschießenden Verlust der ehemaligen Ostgebiete verloren zum Opfer gefallen sind). Es ist eine Geschichte von unten, die der kleinen Leute, die sich bemühen, im täglichen Kampf ums Dasein zu überleben und sich materiell abzusichern, was der o.g. Familie über Generationen teilweise gelang, so ging ein ziemlich bekannter Bischof aus ihr hervor, aber dazu brauchte es eben wirklich mehrere Generationen. Dabei findet die "große" Geschichte (immerhin mehrere Revolutionen, zwei Kaiserreiche) nur wenig Widerhall in den untersuchten Lebensgeschichten, man hat fast den Eindruck paralleler Leben in Paris, wo die große Politik stattfand, und dem Leben in Angoulême. Die Revolution führte allenfalls durch die Verstaatlichung des Kirchenbesitzes und dessen Veräußerung im Zuge der Revolution zum je nach Einzelfall mehr oder weniger wirtschaftlichen Aufschwung der beschriebenen Personen. Interessant ist auch, dass viele der Menschen im kleinstädtischen Milieu durch die französischen Kolonien in der Karibik weltweit vernetzt waren, etwas, was für das ausgehende 18./frühe 19.Jahrhundert durchaus überraschend scheint. Mehrfach unterbricht Rothschild ihre Darstellung mit geschichtstheoretischen Begründungen/Überlegungen, die deutlich machen, dass sie eine Vertreterin der französischen Schule der "Histoire totale" ist. Das Buch ist sicherlich nicht ganz einfach zu lesen, aber der Leser wird mit überraschenden Einblicken in eine ferne, aber manchmal doch so nahe Welt belohnt. Am Ende ist man fast ein wenig enttäuscht, dass Frau Rothschild ihre Darstellung mit dem Beginn des 20.Jahrhunderts ausklingen lässt, denn ausgestorben ist die Familie offensichtlich nicht. Aber vielleicht folgt ja eine Fortsetzung.

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