Bücher in meiner Hand
Jeder, der öfter mal mit der Bahn unterwegs ist, weiss, dass aus fremden, sich anschweigenden Mitreisenden durch kleine spezielle Vorfälle Berührungspunkte entstehen können, sei es durch ein nachfolgendes Schmunzeln oder ein Gespräch. So eine Szene hat Clare Pooley auserkoren als Einstieg in "Das Wunder von Bahnsteig 5". Hier geht es um Pendler, die normalerweise stillschweigend täglich morgens und abends im selben Wagen, am liebsten am selben Platz sitzen - wehe der "eigene" Sitz ist besetzt! Man kennt sich vom Sehen, jeder hat in Gedanken seine Mitreisenden längst begutachtet und Spitznamen verteilt. Am auffallendsten ist Iona, die an Mary Poppins heran kommt, wenn es darum geht, alles Mögliche aus der Tasche zu ziehen. Doch auch ihr Kleidungsstil, ihr Schosshündchen Lulu, das einen eigenen Platz bekommt - wogegen sich niemand laut wert - und Ionas Art fallen auf. Jeder hat seine eigenen Sorgen, so auch der Schnösel im Anzug, Piers. Als er sich eines Morgens verschluckt, ändert sich alles. Iona ruft um Hilfe, Sanjay als Krankenpfleger hilft - und sie alle sind zukünftig keine Fremden mehr. Sie setzen sich zueinander, lernen sich kennen, erst halten alle ihre Schutzschilder noch hoch, doch bald schon lassen sich die fünf Pendler fallen und beginnen sich zu öffnen. Die scheue Martha, die in der Schule gemobbt wird, bekommt Tipps und Hilfe. Sanjay hat mit den Erlebnissen auf der Arbeit zu kämpfen und würde Emmie gerne daten. Die Endzwanzigerin arbeitet in der Werbung, sie würde aber lieber etwas Sinnvolleres machen und wird ausserdem gestalkt, was sie niemandem erzählt. Iona arbeitet bei einer Zeitschrift und wird aufgrund von ihrem Alter, 57, auf die Reservebank verfrachtet. Dabei hatte sie früher so ein aufregendes Leben und fühlt sich nicht zu alt für ihren Job. Sie alle machen im Lauf der Geschichte einiges durch - die so unterschiedlichen Charaktere zu begleiten macht unheimlich viel Spass. Lustige, humorvolle Szenen wechseln sich mit traurigen oder nachdenklichen Szenen ab und am Ende legt man das Buch seufzend weg - gerne hätte man die inzwischen lieb gewonnen Figuren noch weiter begleitet. Aus einer Zwangsgemeinschaft hat die Autorin eine befreundete Clique erschaffen. Freunde findet man dort, wo man es nicht erwartet, das hätte wohl auch keiner ihrer Romanfiguren gedacht. Es lohnt sich, nicht nur auf seine Mitreisenden einen zweiten Blick zu werfen, auch diesen Roman solltet ihr in der Buchhandlung nicht zurück lassen. "Das Wunder von Bahnsteig 5" gehört auf jeden Fall zu den Jahreshighlights - ruhig und warmherzig, aber eben auch sehr unterhalten und witzig. Fazit: Herzliche und humorvolle Unterhaltung - nicht nur in der Bahn lesenswert. Für jeden Pendler unbedingt empfohlen. 5 Punkte.