B. S.
Feinfühliges Zeit- und Brüderporträt „Brüder funktionieren manchmal so – sie helfen einander, sie machen sich Sorgen, ohne aber darüber zu reden.“ (S. 169) „Zwischen Brüdern“ von Wolfgang Böhm ist ein zeitgeschichtlicher fiktiver Roman über zwei Brüder, Viktor und Hans, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber auch wenn es ab und an zu Verstimmungen zwischen den Brüdern kommt und sich Hans länger mal nicht blicken lässt, sind sie füreinander dar. Zu Anfang des Buches kommt Viktor aus dem 1. Weltkrieg nach Wien zurück, der deutliche Spuren bei ihm hinterlassen hat. In Wien trifft er auf seinen Bruder Hans, der eine große Leidenschaft für Kunst und Design hat und vom neuen und modernen Kunst- und Designverständnis von Josef Hoffmann und dem Bauhaus schwärmt. Jedoch ist er auch den schönen Dingen des Lebens wie auch den Frauen nicht abgeneigt und findet sich oft in finanzieller Notlage wieder, aus der ihm das eine oder andere Mal sein Bruder helfen muss. Dagegen ist Viktor sparsam und bodenständig. Er arbeitet als Lehrer, verliebt sich in Irmgard und gründet mit ihr eine Familie. Aus der Ich-Perspektive von Viktor feinfühlig geschrieben, folgt man als Leser*in gebannt auf knapp über 260 Seiten, ihm und seinen Bruder durch Wien und Umgebung in den 20er- und 30er-Jahren. Man wird Zeuge der Aufbruchstimmung nach dem Ersten Weltkrieg und der darauffolgenden Ernüchterung zu Ende der 20er-Jahre sowie der sich verschlechterten politischen Lage und dem Aufstieg Hitlers und Nazideutschlands. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Situation kommt jedoch auch das Familiäre und Brüderliche nicht zu kurz. Anfangs scheint Hans nach seinen zur Ruhe gekommen zu sein, doch mit der Zeit wird deutlich, dass es Hans nicht gut geht, bis die Verstimmungen und Konflikte zwischen ihm, seiner Familie und auch seinen Bruder immer größer werden, bis es zur Katastrophe kommt. „Zwischen Brüdern“ ist ein Großstadtroman, dessen Stärker in seiner Ruhe und seiner feinen Beobachtung und Charakterbeschreibung liegt. Unaufgeregt wird ein einfühlsames Bild der zwei Brüder gezeichnet sowie ein authentisches Bild der 20er- und 30er-Jahre und der jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Lage. Ein Buch, das ohne großartige Spannungsmomente auskommt und durch seine leisen Töne überzeugen kann.