Yvonne Franke
Ich möchte Euch heute Debbie White vorstellen. Der Tag, an dem Ihr Euch kennenlernt, ist ihr 18. Geburtstag. Kurz nach Mitternacht stapft Debbie über ein winterliches Feld, das zu dem Milchbauernhof gehört, auf dem sie lebt, um zum Wohnwagen ihres Onkels Billy zu gelangen. Sie will dort mit ihm nach alter Geburtstagstradition in die Sterne hinauf sehen, während Billy griechische Sagen auseinandernimmt. Debbie will, dass dieser Geburtstag ist wie alle, an die sie sich aus ihrer Kindheit erinnern kann, denn bald geht für sie ein anderes Leben los. Sie hat eine Studienplatz am Trinity College in Dublin bekommen und es graut ihr ein wenig davor. Schon in der Kleinstadtschule hatte sie es nicht leicht gehabt, Anschluss zu finden. Man hielt sie dort für merkwürdig, was Debbie nicht wundert, denn in ihrer Familie gibt es einiges an Merkwürdigkeiten zu verzeichnen. Am deutlichsten repräsentiert durch ihre Mutter Maeve, die sich im Haus verschanzt und dort ihre Träume notiert und analysiert. Allerdings glaubt Maeve, es seien die Träume anderer Menschen, die zu ihr kämen, um bestimmte Ereignisse vorauszusagen. All das würde Debbie gern als Spinnerei abtun, hätte sie nicht selbst einmal einen Traum dieser Art gehabt. Doch in Dublin scheint dieses Leben tatsächlich von Debbie abzufallen. Sie findet auf Anhieb eine Freundin, die sie auf Partys mitnimmt, ihr ein Sofa zum Übernachten anbietet und duldet, dass Debbie dort selten allein schläft. Louise Nealon verankert ihre Heldin, die wir zunächst in einer fast ätherischen Traumwelt kennenlernen, sehr schnell in der Realität einer jungen Großstadtstudentin. Wir lernen sie als witzige, besonders intelligente junge Frau kennen, die sich Gedanken über Literatur und Schambehaarung macht, die die Gilmore Girls gemeinsam mit ihrer Freundin Xanthe als" narzisstische Miststücke" entlarvt, die wahllos Männer küsst und ab und zu viel zu traurig ist. Die Dialoge werden hier scharf und schnell, Debbies Schlagfertigkeit verblüfft und zieht eine Trennlinie zu ihrer verletzlichen Innenwelt. Die Welt der prophetischen Träume, sogar die der diagnostizierten psychischen Störungen und die derjenigen, die es schaffen, sich mit der Allgemeinheit auf eine Realität zu einigen, liegen in Louise Nealons Roman "Snowflake" nah beieinander. Sie urteilt nicht, sie beobachtet genau und hält alles für möglich. Und so glauben wir den Träumen und sehen uns anders um in der Welt – durch die Augen von Debbie White.