Profilbild von Wordworld

Wordworld

Posted on 2.9.2022

Handlung: Fiktive Monster, die auf der Couch einer modernen Psychotherapeutin ihre Probleme in einer dringend benötigten Therapie angehen? Was für eine unwahrscheinlich coole Idee, die mich als angehende Psychologin und Klassikerfan natürlich noch mehr interessiert. Sehr gefreut habe ich mich dementsprechend, als meine liebste Buddyreadpartnerin Sofia von @SofiasWorldofBooks (HIER geht´s übrigens zu ihrer Rezension zu diesem Buch, welche mit meiner stark übereinstimmt) mir das Buch zum Geburtstag geschenkt hat. Nach den 464 Seiten bin ich immer noch sehr überzeugt von der grandiosen Grundidee, habe jedoch auch einige kleine Kritikpunkte zur Umsetzung. Im Klapptext wird dem Roman das Verschwinden der hier therapierenden Psychologin J. als Rahmen festgesteckt. Die Aufgabe für uns LeserInnen besteht nun darin, aus den vier Fallakten, die Transkripte der Therapiesitzungen zu den vier "Monstern", Dr. Jekyll, der Vampirin Carmilla, der Familie Frankenstein und Dorian Grey enthalten und zusätzlich durch Briefe, Mails, Anmerkungen der Autorin in einem sogenannten "Arbeitsbuch" und Recherchen das Gesamtbild zusammenzusetzen und herauszufinden, was mit J. geschehen ist. Ich finde Bücher, in denen wir selbst zu Detektiven werden und ein Rätsel lösen müssen immer sehr interessiert. Etwas schade ist hierbei nur, dass die Andeutungen und der rote Faden zwischen den einzelnen Materialien wirklich minimal bleibt. Die Krimihandlung rund um das Verschwinden der Autorin hätte für meinen Geschmack noch deutlich mehr ausgebaut sein können, um die einzelnen Fälle stimmig abzurunden. Kritisieren muss ich auch, dass einige der Akten stark verfrüht enden und ich mir für ein stimmiges Gesamtbild noch eine weitere Sitzung gewünscht hätte. Zwar wird im weiteren Verlauf der Geschichte auch in anderen Akten nochmal auf Patienten vom Anfang Rückbezug genommen, am Ende blieben mir aber doch noch zu viele Fragen offen. Aufmachung: Der Roman ist wie bereits gesagt aufgeteilt in die vier verschiedenen Handakten, die vergleichbar mit einer normalen Therapieakte mit Transkripten der Therapiesitzungen, handschriftlichen Notizen, Anmerkungen der Psychologin, Recherchen, Sachbuchauszügen und Zeitungsartikeln gefüllt sind. Geschwärzte Passagen, dunkle Ränder, Blutflecken, Kritzeleien, Kaffeeränder, Notizzettel, Knicke, Lockerabdrücke, Scans, Bilder und verschiedene Schriftarten machen die 464 Seiten dabei lebendig und lassen sie wie tatsächliche Akten aussehen. Positiv hervorheben möchte ich auch die Illustrationen von Erin Sandström, die die Sitzungsprotokolle ab und zu durchbrechen. So entsteht ein sehr lebendiger und spannender Gesamteindruck! Figuren: Die vier "Monster" werden hier ja nur kurz angerissen, durch die starke Zentrierung auf das ihr Innenleben lernen wir sie aber doch als mehrdimensionale Figuren kennen und bekommen Einblick in deren psychische Probleme und Persönlichkeit. Auch Psychologin J. verrät zwischen den Zeilen in den Fragen, die sie stellt, in ihren Notizen und Mails viel über sich, ihre Gedanken, Gefühle und Probleme. Wir erfahren beispielsweise, dass sie unter Beziehungsproblemen leidet und nach der Geburt ihres Kindes ebenfalls mentale Probleme entwickelt hat. Spannend ist auch, dass wir durch die historischen (Roman-)Figuren aus verschiedenen Zeiten stark den Wertewandel und das unterschiedliche Rollendenken der Zeitepochen vor Augen geführt bekommen. Die Unterschiedlichen Standpunkte der Figuren aus dem 18. und dem 21. Jahrhundert zu Themen wie Sexualität, Geschlecht, Beziehungsformen und gesellschaftliche Hierarchien kommen im Gespräch sehr gut zur Geltung. Zudem lernt man beim Lesen nebenbei natürlich auch das ein oder andere über die Romanfiguren, Grundsätze der Psychotherapie und gewisse Erkrankungen. Zwar werden hier recht viele psychoanalytische Ideen verwendet, welchen ich etwas kritisch gegenüberstehe, aber insgesamt sind die drehbuchartigen Dialoge sehr nah an einer realistischen Therapiesitzung gehalten und vermitteln somit, wie eine Therapie ablaufen kann. In Zeiten, in denen es immer noch stigmatisiert ist, sich in Psychotherapie zu begeben definitiv ein guter Ansatz! Das Urteil: Mit ihrer Mischung aus Krimi, Sachbuch und Fallakte unterhalten Psychologin Jenny Jägerfeld und Autor Mats Strandberg und regen zum Miträtseln an. "Monster auf der Couch" ist ein lehrreiches wie kurzweiliges Lesevergnügen, welches für meinen Geschmack jedoch noch eine etwas ausführlichere Rahmenhandlung hätte haben können.

zurück nach oben