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gachmuret

Posted on 1.9.2022

Gottfried Messmer, Inhaber des Café Glück in Zürich, wohin er nach bewegten Wanderjahren zurückgekehrt ist, erhält einen merkwürdigen Anruf: Er solle in einer vertraulichen Angelegenheit in die Zürich-Bank kommen, der Leiter der Abteilung Rechtsnachfolge wolle ihn sprechen. Es stellt sich heraus: Er ist der Erbe eines Schließfaches, das seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr bezahlt wurde. Der Inhalt – ein Spazierstock – wirft zahlreiche Fragen auf und sein Versuch, diese zu beantworten, bringt Ereignisse ins Rollen, deren Antriebsfedern vor Jahrzehnten gespannt wurden. Mónica Subietas wählt mit der Schweiz zur Zeit der deutschen Nazi-Diktatur eine historische Folie, die mir zumindest nicht sehr präsent war. Und das Verhalten der Schweiz jüdischen Flüchtenden gegenüber darf getrost als verwerflich bezeichnet werden (passt aber natürlich ins allgemeine Bild, abgewiesen wurden sie ja nicht nur dort, sondern an vielen Grenzen der Welt). Zum Einstieg gibt es einen Tatort: Ein Schweizer Künstler wurde in seinem Atelier angegriffen, Überlebenschancen unklar. Von hier ausgehend schlägt Subietas einen Bogen, weit zurück zum vermögenden Jakob Sandler, der sich nach dem „Anschluss“ Österreichs zur Flucht entschließt und zu Gottfrieds Vater, der einst selbst aus Deutschland in die Schweiz flüchtete. Mónica Subietas verknüpft mehrere Erzählstränge, den sie jeweils aus der Protagonist:innenperspektive erzählt. Das macht sie sehr geschickt, ihr gelingen dabei gute Übergänge zwischen Erinnerungen und Erleben, zwischen Zeitebenen und Protagonist:innen. Das macht den Roman sehr flüssig lesbar und erzeugt eine Spannung, die der Plot selbst nicht hergeben würde. Wie überhaupt die Handlung als solche mich nicht überzeugt, das ist doch sehr vorhersehbar und ich möchte doch fast sagen – unoriginell. Stärker ist das Werk in der Innenperspektive der handelnden Figuren und in der Darstellung der verheerenden Folgen, die kleinste Kommunikationsfehler mit sich bringen können. Nämlich dann, wenn sie nicht aufgelöst werden. Und ich möchte der Autorin daher unterstellen, dass die unterkomplexe Handlung genau deshalb Absicht war: Ich saß als Leser immer wieder da und dachte – „Nein, nicht doch, das war doch anders – Himmerherrgott, will denn niemand die Sache aufklären?“ Und zwar weil die Protagonist:innen die ganze Zeit Geheimnisse aufzuklären versuchten, dabei völlig falsche Schlüsse zogen – Leser aber sowohl die Geheimnisse längst kennen als auch sofort ahnen, welche Schlüsse sie ziehen werden und welche Handlungen daraus folgen. Dieser Roman ist in seinem ganzen Wesen zutiefst und in klassischem Sinne tragisch. Denn Schuld sind hier wenige – das Helfernetzwerk nicht, Gottfrieds Eltern nicht, Gottfried ebenso wenig, Jakob Sandler nicht, sein Sohn noch weniger und so weiter – alle handeln völlig nachvollziehbar und geradezu zwingend. Das Ergebnis aber ist erschütternd. Dies ganz deutlich darzustellen, darin liegt in meinen Augen die Stärke dieses flüssig geschriebenen Romans. Dass dies etwas auf Kosten der Handlung geht, die an manchen Stellen dann doch sehr offensichtlich konstruiert erscheint, ist schade – öffnet aber den Raum für eigene Assoziationen und Gedanken.

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