Yvonne Franke
In meinem Freundeskreis gibt es einige Schauspieler und Schauspielerinnen und erstaunlich viele von ihnen schreiben außerdem fiktionale Texte. Ich habe mir diese Korrelation immer damit erklärt, dass die beiden Professionen, die Schauspielerei und das Schreiben, eine wichtige Gemeinsamkeit haben: sie erfordern das Talent, sich in fremde Charaktere hineinversetzen zu können. Sie erfordern Empathie, könnte man auch sagen, und eine gewisse Durchlässigkeit. Aber kann man auch sagen: guter Schauspieler, gute Texte? Es könnte einem so vorkommen. Besonders, wenn man Matthias Brandts Coming of Age - Roman "Blackbird" liest. Mit Morten, genannt "Motte", ist ihm jedenfalls eine durch und durch glaubwürdige 15-jährige Hauptfigur gelungen. Und diese Grundlage der Glaubwürdigkeit, ermöglicht es Brandt, die Handlung seines Romans zu verdichten, sich in dieser brutalen Pubertäts-Welt der ersten Male herumschleudern zu lassen, selbst überrascht zu werden von den wild verknüpften Gedankengängen, seiner immer wieder den Boden unter den Füßen verlierenden Hauptfigur. Mottes bester Freund Manfred (gnädigerweise genannt Bogi, nach einem falsch verstandenen Manfred Bogart) ist plötzlich sehr krank und der erste Besuch in seinem Krankenzimmer scheitert schmerzlich an Mottes Befangenheit. Über eine viel zu lange Zeit, kann Motte sich nicht zu einem, natürlich fest versprochenen, nächsten Besuch durchringen. Und während Bogi an weiße Wände starrt, geht für Motte das Leben besonders rasant weiter. Die nächsten Schritte des Erwachsenwerdens überschlagen sich und Mottes schlechtes Gewissen seinem Freund gegenüber ist ohne Verdrängung nicht mehr auszuhalten. In der Erzählung dessen ist Brandt so konsequent, dass man zwischenzeitlich denkt: da war doch mal dieser Bogi. Bis man merkt, dass man gemeinsam mit Motte in die Verdrängung gegangen war, sich hat mitreißen lassen. Dass der Autor einen kunstvollen Bogen gespannt hat, der einen dann mit voller Wucht in die nächste Gefühlswelt schießt. Wahrscheinlich könnte der 1961 geborene Matthias Brandt ihn auch spielen - diesen 15-jährigen. Seinem Motte jedenfalls, merkt man den Altersunterschied nicht an.