Yvonne Franke
Juli ist 17 und von außen betrachtet beneidenswert. In der Schule hatte sie nie Probleme, sie löst die kompliziertesten Rechenaufgaben in Rekordzeit im Kopf. Ihre Familie lebt in einem riesigen Haus, das zwar etwas geschmacklos eingerichtet ist, aber dennoch Respekt einflößt, Ihre Eltern sind erfolgreiche Anwälte und überhaupt besteht ihre Familie aus eifrigen Überfliegern. Höher, schneller, weiter. Doch, als wir Juli kennenlernen, befindet sie sich in einer psychiatrischen Klinik. Warum nur? Juli weiß es und analysiert vor sich selbst und damit vor uns schonungslos die brutalen Ausbrüche ihres narzisstischen Vaters und die bittersüßen Übertünchungen, die Lügen, ihrer Mutter. Aber außerhalb Julis scharf urteilenden Gedanken, darf niemand es wissen. Und so hält Juli den Mund und niemand kann ihr helfen und niemand kann ihr wirklich Freund oder Freundin sein. Wenn sie Dampf ablassen muss, spielt sie Ballerspiele. Natürlich auch auf Hochleistung und deshalb bald als Profigamerin. Oder sie ritzt sich die Arme blutig. Darauf angesprochen sagt sie: "Teeniekram. Betrachte es als mein Arschgeweih." Als hätte sie alles inzwischen im Griff. Claudia Schumacher bleibt streng in der Perspektive ihrer Erzählerin und damit ganz dicht, Tagebuchartig, an ihrer Verzweiflung, auch wenn die manchmal absurde und fast komische Züge annimmt. Erst als Juli glaubt, einen Ausweg gefunden zu haben, sich in ein ganz normales, langweiliges "Katalogleben" zu flüchten versucht, sehen wir Juli von außen, distanziert. Fast geht sie uns verloren, wie sie sich selbst verloren geht, in dem Versuch, die Vergangenheit abzustreifen, anstatt sie aufzuarbeiten. Das ist kunstvoll und zeigt den Schmerz umso stärker auf. "Liebe ist gewaltig" macht Mut zur Selbstermächtigung, auch wenn diese nur in Wellen möglich ist, in einem Auf und Ab zwischen dem Wunsch, vergeben zu können, sich zu rächen, die Vergangenheit ganz auszuklammern und sich neu zu erfinden. Und vielleicht gibt es ihn nicht, den Zwang sich zwischen all diesen Möglichkeiten für nur eine entscheiden zu müssen. Schumacher sieht in jede dunkle Ecke der Auswirkungen von häuslicher Gewalt, die oft besonders verwirrend ist, weil sie von Menschen ausgeht, von denen man sich wünscht, geliebt zu werden und denen man jede Weichheit glauben will, selbst wenn das Auge noch blau ist.