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Buchdoktor

Posted on 10.8.2022

Antje Rávic Strubels (überarbeitete) Essays entstanden zwischen 2003 und 2022. Neben Reaktionen auf die Rezeption ihrer Romane „Kältere Schichten der Luft“, „In den Wäldern des menschlichen Herzens“ und „Blaue Frau“ knüpft Strubel in ihren Essays Verbindungen zu ihrer Herkunft aus dem brandenburgischen Rheinsberg, zur Prägung durch skandinavische Länder und speziell zu Virgina Woolf, Selma Lagerlöf und Anne Garréta. Ein fremder Gast irgendwo in einem Lokal in Finnland hatte Strubel zum Schreiben ein Bild der schreibenden Autorenhand kreiert, die sich bereits in der Zukunft befindet. Dieses Schaffen von Bildern, die Leser*innen und Literaturkritik möglicherweise noch nicht wahrnehmen können oder wollen, zieht sich durch den gesamten Essayband und regt an, gerade „Kältere Schichten der Luft“ und „In den Wäldern des menschlichen Herzens“ neu zu lesen. So wie Virginia Woolfe’s „Jungs, die Klingelstreiche begehen“ heute als Kommentatoren unverhohlen frauenfeindlich auftreten und „Jungs“ des Feuilletons herablassende Literaturkritiken über Autorinnen verfassen, kann „In den Wäldern des menschlichen Herzens“ quasi als Vorankündigung der aktuellen Transgender-Debatte gelesen werden. Dass Frauen Mädchen/Girls genannt werden dürfen, ist laut Strubel dabei nur die Spitze des Eisbergs einer Literaturkritik, die sich im Ton vergreift. In Strubels Texten geht es u. a. um die Anmaßung, dass Frauen sich zu bestimmten Themen überhaupt äußern dürfen, um männliche Kränkbarkeit und um das Zulassen der Genderfluidität in der Literatur. Sie lässt aber auch zur Erheiterung ihrer Leser*innen Strubel, Ravik (mit k) und Rávic Strubel gemeinsam eine Bootsfahrt unternehmen. Die Faszination von Buchkritiker*innen für die belanglose Frage, wer mit wem wo Sex hat, ist mir erst durch Strubels Essays bewusst geworden. Neben der Anregung, sich mit Selma Lagerlöf wie auch der Beziehung Astrid Lindgrens zu Louise Hartung zu befassen, knüpft Strubel in ihren Texten Fäden zu ihren älteren Romanen, die ich jedenfalls 2016 und vorher noch nicht unter Gender-Gesichtspunkten gelesen habe.

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