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«Tod, Entwurzelung und kultureller Verlust» «Wir wurden nicht in Kanada geboren, sondern Kanada wurde auf unserem Land geboren.», etwas, was der sogenannte Kanadier gern vergisst. Ab dem späten 15. Jahrhundert erreichten Europäer das heutige Gebiet des Staates, lebten friedlich in Gemeinschaft mit den Urvölkern zusammen, denn ohne Hilfe der Ureinwohner hätten die Siedler nicht überleben können. 1605 wurde mit Port Royal die erste Siedlung gegründet. Die Bezeichnung Canada entsprang dem Wort «kanata», was bei den Irokesen Dorf bedeutet. In der Hauptsache besiedelten Franzosen und Engländer das Land und teilten sich das Gebiet auf. Frankreich trat 1763 nach einem verlorenen Krieg seine Kolonie an Großbritannien ab und so wurde aus Neufrankreich die britische Provinz Québec, und im selben Jahr gelangte die Kap-Breton-Insel zur Kolonie Nova Scotia. 1867 gründeten drei britische Kolonien die Kanadische Konföderation. 1931 wurde eine gesetzgeberische Unabhängigkeit von Großbritannien erreicht; die verfassungsrechtlichen Bindungen zum Vereinigten Königreich wurden 1982 aufgehoben. Ruperts Land war der erste Stützpunkt, den sich Karl II. für den Pelzhandel gesichert hatte, ein riesiges Gebiet. Die Pelzhändler errichteten Stützpunkte, bauten Beziehungen mit den Einwohnern der Region auf und entsandten Expeditionen zur Erkundung des Landes. Es gab einen friedlichen Handel mit den First Nations, Métis und Inuit der verschiedenen Stämme. Die Ureinwohner lieferten Pelze und erhielten dafür Waren, die sie gut gebrauchen konnten, brachten den Siedlern bei, wie man Kajaks baut, wie man in der Wildnis überlebt. Die guten Werkzeuge der Siedler und die Gewehre erleichterten ihnen das Leben und das Jagen und sie konnten noch mehr Pelze heranschaffen. Man befruchtete sich gegenseitig. Nach der weiteren Besiedlung kontrollierten zwei Handelsgesellschaften, die Hudson’s Bay Company (HBC) und die North West Company (NWC), den Handel in den von Ureinwohnern besiedelten Gebieten der Prärien und der Subarktis. Die HBC erhielt 1670 Ruperts Land als Pachtgebiet und besaß für das Gebiet das Handelsmonopol mit Pelzen. Mit der Größe der beiden Gesellschaften kam es zu blutigen Konflikten, die zum Pemmikan-Krieg führten, und 1821 wurde die NWC in die HBC eingegliedert, die ihr Monopol ausdehnte. Der immer größer werdende Pelzhandel dezimierte das Wild, der sich immer mehr ausbreitende Siedlerstrom nahm den Ureinwohnern ihren Lebensraum, sie wurden mit europäischen Krankheiten infiziert und viel von ihnen starben. «Während für die Europäer Landbesitz, Privateigentum und Gewinnmaximierung kapitalistische Wirklichkeiten waren, stellten sie für die Indianer Elemente einer fremden Welt dar, die sie zunächst nicht einordnen konnten.» Die Siedler versuchten die «Wilden» «in die Schuldenfalle rennen zu lassen», sie abhängig zu machen, zu kontrollieren. Mit dem «Indian Act» von 1876 entrechtete man die Ureinwohner nun völlig, entzog ihnen das Wahlrecht, steckte sie in Reservate, die natürlich keine Bodenschätze vermuten ließen, auch nicht in Wasserfallnähe, damit sie nicht auf die Idee kamen, ein Kraftwerk zu bauen. Sie mussten sich in Listen eintragen, um als Indianer anerkannt zu werden (viele fielen raus, wurden aus verschiedenen Gründen nicht zugelassen), nicht mehr als drei Indianer durften sich versammeln, es war ihnen nicht erlaubt, einen Rechtsbeistand zu konsultieren, es war ihnen verboten, ohne schriftliche Erlaubnis das Reservat zu verlassen usw. Erst 1960 galten sie als gleichgestellte Bürger. «Auch 2020 fühlen sich die First Nations nach wie vor systematischdiskriminiert. Arbeitslosigkeit, Armut, Obdachlosigkeit, Selbstmorde, Drogen- und Alkoholabhängigkeit, verschiedene Krankheiten wie Diabetes und limitierte Bildungsmöglichkeiten liegen bei den Indianern im Vergleich ... um ein Vielfaches höher.» Heute leben in Kanada noch viele First Nations, Métis und Inuit: «auf dem kanadischen Territorium 634 vom Staat anerkannte indianische ‹Stammesgemeinschaften›, die offiziell als First Nations bezeichnet werden und die etwa 3000 Reservate besitzen.» Die Völker werden von der restlichen Bevölkerung und von der Regierung kaum wahrgenommen, bzw. ignoriert. «So entsteht der Eindruck, alles, was vorher (also vor der Besiedelung durch die Europäer) gewesen war, sei bedeutungslos.» Das Klischee von Kanada zeigt den «weißen Mann». Der Schweizer Historiker Manuel Menrath berichtet in diesem Sachbuch von der Geschichte dieser Völker, ihrem Zusammenleben mit den Siedlern und wie sie Stück für Stück zurückgedrängt wurden, ihnen ihr Lebensraum genommen wurde, sie in der Armut gedrängt wurden als Menschen zweiter Klasse, die ignoriert wurden, die nicht wählen durften, die mit Verträgen über den Tisch gezogen, in Reservate verbannt wurden. Der Autor traf Cree und Ojibwe in ihren Reservaten. In über hundert Interviews erzählten sie dem Wemistigosh (Holzbootmensch) von ihrem Leben - ihrem Verhältnis zur Natur, ihren Vorfahren, ihrer Geschichte - und von dem Land, das sich heute «Kanada» nennt und dessen Entstehung für sie mit großem Leid verbunden ist. Sie erzählten von verschwundenen Tieren, alten Ritualen. 2017 wurde National Chief aller First Nations gefragt, warum man das 150-jährige Bestehen von Kanada feiern solle, etwa, dass es «zivilisierte und integrierte Indianer gibt?», oder «Kolonialisierung, Genozid durch die Residential Schools», den «Indian Act und die damit verbundene Unterdrückung?» Er meinte, an müsse präsent sein und nicht zurückblicken, sondern auf die nächsten 150 schauen, den Stand verbessern. Denn die Ureinwohner werden bis heute in den Geschichtsbüchern ignoriert, leben in Reservaten, die die meisten Kanadier noch nicht betreten haben. Die Kanadier hatten mit ihren «Wilden» die gleiche Idee wir die Dänen mit ihren Grönländern: Man nahm den Eltern die Kinder weg, steckte sie in spezielle Schulen, um sie zu zivilisieren, zu kultivieren und gesellschaftsfähig zu machen. In Kanada waren das christlichen «Residential Schools», in denen Kinder misshandelt und gequält wurden. Neben physischen und psychischen Schmerzen wurden die Kinder entwurzelt – Depression, Drogenkonsum und häufiger Suizid waren das Ergebnis. 2016 gab es allein im Cree-Dorf Attawapiskat 100 Selbstmordversuche unter Jugendlichen - genau in dem Jahr, in dem Premier Justin Trudeau (viel zu spät) die Rechte der Nations, Métis und Inuit anerkannte. Dies Sachbuch gibt guten Aufschluss über die kanadische Geschichte, bzw. auf das Territorium, auf dem dieses Land sich begründet. Die Kultur der First Nations, Métis und Inuit der heutigen Zeit wird beleuchtet, ihr Anliegen und – durch die Interviews sprechen sie sozusagen direkt den Leser an. Es gibt niemanden, der über sie redet, zu wissen meint, was sie denken und fühlen. Das ist sehr gelungen. Ein gutes Buch, ein wichtiger Einblick – sehr lesenswert. Was mich immer wieder gestört hat, ist die Sprache in diesem Buch. Der Autor spricht über die Ignoranz der Kanadier gegen die Urbevölkerung und redet selbst von Indianern und Indigenen, verwendet dauernd koloniale Ausdrücke! Sind wir denn in Indien? Manchmal verwendet er den korrekten Begriff First Nations, vergisst aber zu erwähnen, dass es ebenso die Métis und Inuit in Kanada gibt, die mit Ersteren nicht zu verwechseln sind. Falsche Ausdrücke wie Selbstmord, anstatt Suizid – man kann sich nicht selbst ermorden, Drogen- und Alkoholabhängigkeit, doppelt gemoppelt – Alkohol gehört zu den Drogen – und so einiges mehr. Spätestens dem Lektorat hätte das auffallen müssen! Schade, dass gerade in einem Buch, dass Missstände anprangert, mit solchen sprachlichen Entgleisungen immer wieder agiert wird. Manuel Menrath, geboren in Luzern, seit 2009 am Historischen Seminar der Universität Luzern. Zuvor war er Lehrer, Kulturmanager, Komponist und spielte Gitarre in verschiedenen Bands. 2016 erhielt er den Opus Primum Förderpreis der Volkswagen Stiftung. In seinem Buch Mission Sitting Bull (Schöningh 2016) setzt er sich mit der Bekehrung der Sioux durch Benediktiner aus Einsiedeln auseinander.