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Der Anfang: «Die Ältesten der Stadt behaupteten, im Fjord lebe ein Hunderte von Jahren altes Wesen. Ein Ungeheuer, das bereits hier geherrscht habe, lange bevor die Vorväter in diese gottverlassene Bucht vorstießen, und das noch immer da draußen unter der grauweißen Oberfläche herumschwamm. Die Alten sagten, das Wesen habe alles Leben geschenkt und warte in der Tiefe, um die Toten zu empfangen. Es werde den Menschen samt seiner Sünden und Untaten verschlingen und so für eine Weile die natürliche Ordnung wiederherstellen. Aus dem Meer bist du gekommen. Ins Meer kehrst du zurück.» Polizeihistorikerin Maria Just bereitet gerade eine Ausstellung zum Thema «100 Jahre ungelöste Mordfälle» im Polizeimuseum von Kopenhagen vor, als der Generalsekretär des Roten Kreuzes auf bestialische Art ermordet wird. Der Tote hängt gekreuzigt an einem Geländer, auf seinem Körper wurde ein rätselhaftes Zeichen eingeritzt. Und genau diese Symbole hatte Maria in einem alten Mordfall entdeckt, den sie in ihre Exposition mit aufnehmen möchte. Sie wendet sich an die Polizei. «Mikael Dirk stieg so hart in die Bremsen, dass der Gurt sich über seiner Brust straffte. Die Radfahrerin war wie aus heiterem Himmel aufgetaucht und hatte ihn rechts überholt. ‹Sch...›, fluchte er und umklammerte das Lenkrad. Er hatte die Frau übersehen, was untypisch für ihn war. Nur der rot wirbelnde Schimmer ihrer Lockenmähne hatte sie davor bewahrt, von ihm überfahren zu werden. Sie wäre schuld gewesen, aber wer hatte schon Mitleid mit dem Fahrer, wenn ein Auto einen Radfahrer ummähte?» Maria und Mikael Dirk begegnen sich zuerst im Straßenverkehr. Der Kommissar ermittelt zusammen mit Kollege Frederik in diesem Mordfall und sie finden Marias Entdeckung interessant. Nur welche Verbindung mag es zwischen diesem Fall und dem ungeklärten Doppelmord vor 50 Jahren geben? Lange wird Maria von den Polizisten nicht wirklich ernst genommen. Doch der Fall interessiert sie und sie recherchiert weiter. Und ganz zufällig stößt sie im Archiv auf den nächsten Fall. Sie wird wieder nicht ernst genommen. Ein dunkles Kapitel dänischer Geschichte dringt ans Licht: Die Deportierung grönländischer Kinder, um sie zu Dänen umzuerziehen, die «Danifizierung», Erziehung in Heimen bzw. Zwangsadoptionen. Puzzleteil für Puzzleteil setzt sich zusammen. Ein typischer Skandinavienkrimi: Eine Kombination zwischen Kriminalfall und nationaler Politik, ein nationaler Skandal. Ein wenig zu viel Zufall für mich in diesem Krimi – auch zufällige verwandtschaftliche Verstrickungen der Handelnden. Im Prinzip ist es ein ausgeklügelter Plot mit falschen Fährten und raffinierten Wendungen – ein wirklich gutes Thema, das literarisch die letzten Jahre immer öfter angefasst wurde. Ein spannender Prolog, ein guter Anfang, doch das flachte bald ab. Doch so richtige Spannung kam bei mir erst am Ende auf, vorher konnte die Geschichte mich nicht packen. Line Holm und Stine Bolther bringen fast 600 Seiten auf das Papier, erzählt viel über ihre Figuren – über – sie dringen nicht in die Charaktere ein. Es gibt viel Leerlauf in diesem Buch, die Handlung tritt zu oft auf der Stelle. Und dann fiel mir plötzlich auf, warum ich dem Roman nicht näherkam: Hier fehlt Atmosphäre! Der Schreibstil besitzt viel Tell statt Show, der Lesende kann sich wenig in die Protagonisten noch in die Örtlichkeiten versetzen – alles bleibt an der Oberfläche. Ein Durchschnittskrimi, gut lesbar, literarisch ist hier aber enorm viel Luft nach oben! Line Holm wurde 1975 geboren und ist eine mehrfach ausgezeichnete Investigativjournalistin. Sie arbeitet für die Berlingske, eine der größten dänischen Zeitungen. Stine Bolther wurde 1976 geboren. Sie ist Fernsehmoderatorin, seit achtzehn Jahren als Kriminalreporterin tätig und hat bereits mehrere True-Crime-Bestseller in Dänemark veröffentlicht. Hautnah bei den echten Ermittlungen dabei zu sein hat die beiden dazu inspiriert, ihren ersten gemeinsamen Kriminalroman zu schreiben. Mit »Gefrorenes Herz« eroberte das Duo die dänische Bestsellerliste im Sturm, und der zweite Fall wartet bereits auf Maria Just.