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marcello

Posted on 5.8.2022

Band 6 der Bridgerton-Saga von Julia Quinn war für mich als Leserin der bislang größte Angang, auch wenn das bei einer Reihe seltsam formuliert klingt, denn ich hätte den Band schließlich so oder so gelesen. Aber als jemand, der die Reihe erst durch die Netflix-Adaption kennengelernt und sich dann auch auf die Bücher eingelassen hat, ist Francesca bislang noch nicht die Figur gewesen, die einen bahnbrechenden Eindruck hinterlassen hat. In der Serie ist sie in den bislang veröffentlichten zwei Staffeln auch wegen Terminschwierigkeiten sehr selten zu sehen gewesen und erst für Staffel 3 kommt nun ein etwas älterer Recast. Aber auch in der Buchreihe war sie bislang nicht die Figur, die wirklich in Erscheinung getreten ist, da ist es doch eher Hyacinth, die als Nesthäkchen mit ihrer großen Klappe in Erinnerung bleibt. Zudem ist auch der männliche Protagonist, Michael, bislang eine völlig unbekannte Figur, was dementsprechend aus „Ein hinreißend verruchter Gentleman“ ein kleines Überraschungspaket gemacht hat. Was mir von Anfang an gefallen hat, dass der sechste Band auch um eine neue Geschichte bemüht ist. Das habe ich zuvor schon angesprochen, dass aufgrund der sehr viel strengeren gesellschaftlichen Konventionen im frühen 19. Jahrhundert die Möglichkeiten nicht so groß sind, außer dass es gleich skandalös geworden wäre. Das hat die Reihe zwar auch in Kauf genommen, aber es ist eben nicht unendlich viel möglich. Demnach ist eine verwitwete Frau durchaus ein Aspekt, der etwas Interessantes mit sich bringt. Es war auch gut, dass das Buch zu einem Zeitpunkt ansetzt, als Francesca noch in erster Ehe verheiratet ist, um sie so als sehr junge Frau kennenzulernen und so auch ein Gespür für ihren ersten Mann zu bekommen. Zwar ist vieles vom Anfang aus Michaels Sicht erzählt, um seine unglückliche Verliebtheit in die Frau seines Cousins zu unterstreichen, und doch bekommt man einen Eindruck von dieser innigen Liebe. Aber auch Francescas Profil wird schnell geschärft und es passt zu dem bisherigen Eindruck. Sie ist zwar keine schüchterne Person, aber sie ist sehr bedacht auf ihre Unabhängigkeit. Auch wenn sie ihre große Familie liebt, so ist sie auch froh, wenn sie ihre Ruhe hat und ihren eigenen Weg gehen kann. Diese Merkmale merkt man ihr wirklich gut an und gerade dann nach Johns Tod, als Michael als neuer Lord erstmal Indien bereist und sie als Witwe sich um alles kümmert, zeigt sich auch ihre Selbständigkeit und ihr Wille, für sich selbst zu stehen. Was in der Serienversion bislang vor allem durch Eloise verkörpert wird, scheint in der Buchreihe Francesca zu sein und das hat mir wirklich gut gefallen. Etwas unglücklich finde ich dagegen die zeitliche Einordnung des Bandes, denn sowohl die ersten Kapitel, als Francesca noch jung mit John verheiratet ist, aber auch nach dem Zeitsprung befinden wir uns parallel zu den Entwicklungen der Bände rund um Eloise und Penelope und Colin. Damit ist klar, dass Lady Whistledown zu dem Zeitpunkt noch aktiv ist, weswegen ich es schade finde, dass auf sie nicht gesetzt wurde. Selbst wenn man aufgrund der Reihenfolge der Bücher inzwischen weiß, wer sich hinter dem Alias verbirgt, so hätte es von der Nutzung ihrer Kommentare sicherlich nichts ans Charme weggenommen. Stattdessen wird auf Briefausschnitte von Michael und Francesca gesetzt, die ich persönlich aber wahrlich nicht so unterhaltsam fand. Zwar ist das Geschehen zwischen Michael und Francesca weit ab von gesellschaftlichen Veranstaltungen und viel hätte Lady Whistledown also nicht spitzfündig beisteuern können und doch ist es seltsam, dass sie nicht mal namentlich erwähnt wird. In dem Sinne ist es von Quinn einfach etwas inkonsequent. Aber zurück zur eigentlichen Liebesgeschichte, die durch den Zeitsprung einen angemessenen Abstand bekommt, wo man versteht, dass sich Francesca wieder auf den Heiratsmarkt stürzen will. Aber es geht ihr weniger um den Mann als vielmehr um eigene Kinder und das ist sicherlich auch der Aufhänger, warum es dann mit Michael so schwierig wird, denn im Geiste hat sich bei Francesca einfach festgesetzt, dass John ihre große Liebe ist und sie sich auf einen angenehmen Mann einlässt, der ihn aber nie ersetzen wird. Michael war aber schon eine enorm wichtige Person für sie, bevor John gestorben ist, was alles durchkreuzt. Ich fand das Hin und Her zwischen den beiden dementsprechend sehr nachvollziehbar, weil sie auch beide ihren Grund hatten, sich zuerst zurückzunehmen und erst unterschwellig eifersüchtig zu reagieren, bis es dann eben immer intensiver wird und zu der langen Episode beim schottischen Landsitz führt. Auch wenn Michael bei mir als Figur keinen besonders bleibenden Eindruck hinterlassen hat und definitiv hinter Francesca für mich zurücksteht und es auch wieder Passagen in dem Buch gibt, die ich etwas seltsam finde, aber was für die Reihe fast schon typisch ist, so ist es doch eine Liebesgeschichte, die mir wieder besser gefallen hat als die zuvor, denn sie war insgesamt intimer von der ganzen Atmosphäre her, die Charakterarbeit war gut und die inneren Prozesse sowie auch das unerwartete Thema Unfruchtbarkeit waren gut dargestellt. Fazit: „Ein hinreißend verruchter Gentleman“ bringt Francesca das große Glück, die bislang doch eine große Unbekannte war. Aber sie hat sich für mich als positive Überraschung entpuppt und ich habe ihre Geschichte gerne verfolgt. Insgesamt wirklich eine solide Unterhaltung wieder, die sich wieder mehr auf das Zentrale besinnt und einfach eine schöne und für die Reihe anders gestaltete Liebesgeschichte.

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