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Posted on 4.8.2022

Eine eiskalte Ehrlichkeit „Ein Kind zu bekommen ist der äußerste Egoismus, ein Versuch, sich selbst neu zu erschaffen, nur besser. Hat man das Recht, ein Kind zu neunzig Jahren leiden zu verurteilen, nur, um jemanden zu haben, in dem man sich wiedererkennt? Sex zu haben, um schwanger zu werden, das kann mir das kam mir absurd vor; nicht zu versuchen, den Samen zu blockieren oder abzutöten, fand ich absolut verantwortungslos.“ (S. 106) Im Grunde begegnen wir nur drei Personen, aber denen umso intensiver. Denn die Perspektive wechselt reihum. Im Mittelpunkt steht Njal, ein Mann über 40, akademischer Klimaforscher mit dem Hobby der altertümlichen Ritterspiele. Sein Lebensziel, um scheinbar jeden Preis, ist es Vater zu sein und das Vatersein leben zu dürfen. An diesem Ziel ist seine Ehe mit der Pastorin Sol gescheitert. Und deshalb kam seine Kollegin Nina ins Spiel, erst eine Affäre, dann die Mutter seiner Tochter Lotta. Doch Nina leidet unter einer postnatalen Depression und hat Zwangsvorstellungen. Eine hochexplosive Mischung an Charakteren. Die Geschichte dreht sich um diese drei Personen, ihr Miteinander, das Kind und ein Forschungsauftrag, um den sich Nina und Njal streiten. Es soll in den hohen Norden zur Inselgruppe Svalbard gehen um dort das Abschmelzen der Polarkappen zu erforschen. Ein zermürbendes Kammerspiel wird uns hier aufgeführt mit brutaler Ehrlichkeit. Alle kommen zu Wort aus ihrem tiefsten Inneren. Alle leiden, alle haben ihre Sorgen und die merkwürdigsten Gedanken. So mancher Gedanke, denn ich hier las, befremdete mich und bescherte mir Unbehagen. Ein Roman, in dem sexuelle Kontakte eine große Rolle spielen, ob gewollt oder nicht, ob kontrolliert oder nicht, ob richtig oder falsch. Ein Spiel mit der Psyche, bei allen dreien mit der eigenen und auch gegenseitige Manipulation ist hier vorhanden. Ach, und die wütende Bärin, die hat nur einen kleinen Auftritt, dafür umso durchschlagender. Die meiste Zeit des Romans spielt im Frühjahr & Sommer in Bergen und erst dann verlagert das Geschehen sich auf den letzten Seiten in eine Hüte, gefühlt am Ende der Welt in die erbarmungslose Kälte. Die norwegische Autorin Ingebjorg Berg Holm hat sprachlich einen sehr durchdringenden Roman vorgelegt. Die Prosa ist gut geschrieben und als Leserin konnte ich mich (leider) gut einfühlen. Auch bestens von Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann übersetzt. Es hat sich ein bisschen so angefühlt beim Lesen als ob man an einer Brombeerhecke steht und die Brombeeren unbedingt essen möchte, sich aber beim Pflügen die Hand zerkratz. Und doch tut man es immer wieder. Keine Lektüre die schnell verklingt, keine Lektüre bei der man sich in Sicherheit wägt und sich wohlfühlen kann. Unbehagen macht sich breit und umklammert einen wie eine kalte nasse Decke, die sich nicht abschütteln lässt, denn es kommen viele extreme Themen zur Sprache wie Vergewaltigung, ungewollte Schwangerschaften, Unfruchtbarkeit, Abtreibungen, Mee too, Samenspende, Behinderungen bei Ungeborenen, psychologischer Druck. Das muss man aushalten können, der Roman ist intensiv und war für mich teilweise erschlagend.

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