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biancaneve66

Posted on 24.7.2022

Die Casadios und ihre Träume Als Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ein Wagenzug des fahrenden Volks durch das Wetter zum Überwintern im lombardischen Dorf Stellata gezwungen wird, verliebt sich der schwermütige Giacomo Casadio in die schöne Viollca, die durch ihr schwarzes, mit Federn geschmücktes Haar auffällt. Fortan verfügen einige der Nachfahren in der Familie Casadio über außergewöhnliche Fähigkeiten: ihr Sohn unterhält sich mit Toten, der Enkel stellt Messungen zum Gewicht des Atems an und auch weitere Kinder und Enkel stechen durch ihre Träumereien und die damit verbundenen Talente unter anderen Menschen hervor. Die Familiengeschichte der Casadios ist im italienischen Original 2020 erschienen und in der Übersetzung von Judith Schwab 2022 für das deutschsprachige Publikum veröffentlicht worden. Das farbenfrohe Cover mit dem Portrait einer Frau mit großen Ohrringen verweist auf Viollca, die mit ihrem familiären Hintergrund mehr Leben nach Stellata bringt. Die Geschichte beginnt im Jahr 1800 und die Kapitelüberschriften tragen Jahreszahlen, die teils mit historischen Daten zusammenfallen, teils nur die Geschehnisse innerhalb der Familie Casadio näher beleuchten. Dabei wird nicht nur ein bestimmtes Jahr berücksichtigt, denn es gibt auch Rückblenden oder zukünftige Geschehnisse auf das Leben der Protagonisten. In den Ich-Erzählerinnen des Prologs und Epilogs erkennt man zwei Vertreterinnen dieser Familie. Ganz am Ende des Buches befindet sich ein praktischer Familienstammbaum zur besseren Übersicht. Daniela Raimondi erzählt in diesem Roman von den prägendsten Ereignissen einer Familie in der Poebene; es geht um das alltägliche Leben, das sich nicht sonderlich vom Leben anderer Menschen jener Gegend unterscheidet. Und doch wird man von der wunderschönen, bildreichen Sprache sofort in die Geschichte gezogen und freut sich oder leidet mit den Familienangehörigen; obwohl die Autorin nicht gezielt gefühlsbetont schreibt, sondern einen eher nüchternen Erzählstil anwendet. Eingestreut finden sich auch einzelne Ausdrücke oder kurze Sätze in lombardischem Dialekt, die im anschließenden Text aufgeschlüsselt werden. Die Charaktere der sieben Generationen sind allesamt authentisch und sympathisch, ihr Handeln verknüpft die Autorin geschickt mit den historischen Ereignissen - nicht nur der Poebene - wie Armut, Krieg, Emigration oder Naturkatastrophen, um nur einige zu nennen. Der Debütroman der Autorin stellt für mich ein echtes Highlight dar. Das Familienepos erhält daher ein absolute Leseempfehlung nicht nur für historisch Interessierte oder Italienliebhaber.

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