Buchdoktor
Als Debs/Deborah White mit 18 Jahren einen Studienplatz am Trinity College in Dublin erhält, ist sie völlig ahnungslos, was von einer Studentin erwartet wird. Deborah will pendeln zwischen Studienort und dem Milchbauernhof ihres Onkels in Kildare. Onkel Billy wird ihr Studium finanzieren. Louise Nealons Icherzählerin wirkt, als hätte man sie hilflos auf einem fremden Planeten zurückgelassen. Von Stipendien hat Debs noch nie gehört; als typische Bildungsaufsteigerin gibt es für sie offenbar keine Einführung für Erstsemester. Auch wenn Billy sie als Kind nach Kräften gefördert und umsorgt hat, blamiert Debs sich wiederholt als Landei. Kommilitonin Xanthe wiederum hat keine Ahnung vom Leben am Existenzminimum und zählt als Hafermilchkonsumentin zu den Totengräbern der heimischen Landwirtschaft. Da Debs voraussetzt, dass in Irland jeder über das Leben auf dem Land informiert ist, muss Xanthe ihr geduldig jeden Satz erst aus der Nase ziehen. Debs Familienverhältnisse sind anfangs schwer zu durchschauen; Namen werden genannt, deren Bedeutung für die Handlung sich erst später erschließen. Deborah lebt mit ihrer wunderlich-phantasievollen Mutter Maeve im Haupthaus, Billy dahinter im Wohnwagen – und der Hof scheint vom Landarbeiter James organisiert zu werden. Als Billy die Verantwortung für Familie und Landwirtschaft überraschend allein schultern muss, bricht das labile Gleichgewicht und jeder der Whites braucht eine starke Schulter zum Anlehnen. Unbestreitbar ist Mutter Maeve schwer psychisch krank und auch Debs bräuchte dringend therapeutische Hilfe. Trotz ihrer Nähe zu Xanthe hat sie ihre Probleme bisher erfolgreich verdrängt. Als die Freundin sich ausgerechnet in den Hurling Star verliebt, der aus Debs‘ Heimatdorf stammt, kommt es mitten im ungewöhnlich harten Winter zur überraschenden Wende. Louise Nealons Debütroman balanciert auf dem schmalen Grat zwischen irischer Spökenkiekerei, jugendlicher Naivität und familiärer Disposition zu Alkoholismus und psychischer Krankheit. Ohne Triggerwarnung fand ich die Ereignisse schwer zu ertragen, ließ mich jedoch gern von Nealons herzensguten wie exzentrischen Figuren mitreißen. Vergleiche mit anderen Autorinnen und das Label Coming-of-Age tun dem originellen Erstling nicht gut. Es geht um psychische Ausnahmezustände, wer sie wahrnehmen muss und wer die Zügel hält, wenn alles zusammenzubrechen scheint.