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sursulapitschi

Posted on 16.7.2022

Was war los Anfang 2000 in Georgien, als wir damit beschäftigt waren, die Wende zu verdauen und sich alle Ostblockstaaten neu sortierten? Slims Achmed Makaschwili erzählt es uns. Nachdem sein Vater versehentlich an der Grenze erschossen wurde, lebt er mit seiner Familie in der Stadt, wartet auf Strom und schreibt Briefe an Hillary Clinton. In Amerika wissen sie, wie Demokratie funktioniert, die müssten doch helfen können. „Wir sehnten uns nach Licht. Zu Sowietzeiten kriegten wir es umsonst. Jetzt war die Stromrechnung höher als unser Monatsgehalt, aber die Verschwörungstheorien gab es immer noch umsonst. Manche erzählten, Die Regierung schalte den Strom im Winter ab, um die Leute zu zwingen, ihr Öl abzukaufen, um damit ihre Häuser zu beheizen.“ Georgier sind eigen, verwurzelt in althergebrachten Traditionen nach denen Gastfreundschaft das höchste Gebot ist, Trinkrituale zum guten Ton gehören und Lieder in allen Lebenslagen gesungen werden. Unter der Sowjetherrschaft haben sie auch neue Traditionen entwickelt. Korruption, Überfälle und Tauschgeschäfte gehören inzwischen zum Alltag, Gesetze gelten nichts, Gesetzeshüter kann man bestechen. Unter solchen Voraussetzungen kann Demokratie nicht funktionieren. „Da saßen wir in diesem Café der Sowietnostalgie und betranken uns an der Desillusionierung. Die grüne Wassermelone war uns unter der Achsel weggerutscht, wie wir sagen.“ Mit feinem Galgenhumor, gespickt mit Anekdoten des Alltags, wird hier Slims Geschichte erzählt, die einem Georgien und die Georgier nahe bringt. Man könnte sich köstlich amüsieren, wenn die Situation nicht so hoffnungslos verfahren wäre. Die Handlung springt munter hin und her. Impressionen zu Slims Vergangenheit wechseln mit seiner aktuellen Situation und gelegentlichen philosophischen Betrachtungen. Manchmal hat man Mühe, den roten Faden nicht zu verlieren, aber vielleicht braucht man den auch gar nicht. Man kann sich durch die Geschichte treiben lassen, bestürzt, verwundert und amüsiert, und landet dann mitten in der georgischen Rosenrevolution. Ein Toast auf die Rosen Georgiens! Dieses Buch macht Spaß, auch wenn das Thema schwierig und traurig ist. Es ist keine leichte Kost, eher eine poetisch-humorvolle Studie, die den Leser fordert, aber auch bereichert. Ich habe mich amüsiert, ein Volk kennengelernt, von dem ich vorher nur wusste, dass es existiert und bin froh, dass ich es gelesen habe.

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