gachmuret
Inti Flinns Biographie ist stark geprägt durch Verlust- und Gewalterfahrungen. Wirkliche Sicherheit und Geborgenheit fand sie nur in der Natur – und bei ihrer Schwester. Es ist so gesehen auch kein Wunder, dass sie Wildbiologin wird. Nach Schottland kommen Inti und ihre Schwester schwer versehrt – weniger körperlich, als vielmehr seelisch. Ihre Schwester spricht nicht mehr und verlässt auch das Haus nicht. Es lässt sich schnell erahnen, dass ein schwer traumatisierendes Erlebnis dahinter stecken muss. Eines, das Inti den letzten Rest Glauben an die Menschheit gekostet hat – keine gute Voraussetzung, um schottische Schäfer von den Vorteilen einer Wolfsansiedlung zu überzeugen. Dementsprechend schlecht kommt das Projekt denn auch an. Und erwartungsgemäß dauert es nicht lange, bis Angriffe auf Schafe und Menschen dem Konto der Wölfe zugeschlagen werden. Charlotte McConaghy hat ein ausgesprochenes Talent dafür, Natur so zu beschreiben, dass es fesselt. Die Szenen, in denen Inti Tiere beobachtet oder mit ihnen interagiert gehören zu den stärksten Passagen des Romans. Nicht weniger beeindruckend sind ihre Schilderungen der vielfältigen Auseinandersetzungen, sie kann Szenen so schildern, dass ich geradezu körperlich gespürt habe, wie Macht und Gewalt einen Schauplatz eingenommen haben. Wenn sie beschreibt, wie Männer sich vor Inti aufbauen oder wie die Kneipenstimmung kippt – das ist sehr eindrücklich. Und das ist dementsprechend stellenweise auch nur schwer auszuhalten und könnte zum Beispiel Opfer häuslicher Gewalt gerade wegen der literarischen Stärke dieser Schilderungen stark triggern. Allerdings fällt sie immer dann ab, wenn sie innere Monologe schreibt, ihre Protagonistin Geschehenes oder gesellschaftliche Realitäten analysieren lässt. Ich finde sie da nicht sehr überzeugend, das ist überraschend schlicht und eindimensional und will mir nicht so recht zu dieser empathischen, intelligenten und klarsichtigen Protagonistin passen. Es ist sicher dem stark fokussierten Ansatz dieses Romans geschuldet – aber ich hätte mir auch die anderen Figuren etwas weniger holzschnittartig gewünscht. Aber das soll niemandem vom Lesen dieses sehr einfühlsamen Werkes abhalten.