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seeker7

Posted on 28.6.2022

Selbsthilfebücher müssen wohl einiges versprechen, um auf dem Markt wahrgenommen zu werden. Der (Unter-)Titel hat mich daher eher ein wenig skeptisch gemacht. Als ich dann das Buch in den Händen hielt, nötigte mir schon der bloße Umfang einigen Respekt ab: 500 Seiten psychologische Lebenshilfe – das muss man sich schon trauen! Die Psychotherapeutin MORT hat sich getraut – und das hat sich eindeutig gelohnt. Dieses Buch hat einen klaren Aufbau, ist nachvollziehbar strukturiert, ist für psychologische Laien gut lesbar und enthält tatsächlich eine Riesenportion psychologische und psychotherapeutische Erfahrung. Gegliedert ist es in drei große Teile: – Welche Ursachen/Gründe könnten zu dem aktuellen Leid geführt haben? (Genannt werden verschiedenste biografische Belastungen). – Warum war es bisher so schwer, die Probleme und Krisen zu bewältigen? (Hier geht es um emotionale und kognitive Sackgassen bzw. Verstrickungen, auch um ungünstige Bewältigungsversuche – z.B. Suchtverhalten). – Welche konkreten Methoden und Strategien können tatsächlich weiterhelfen? (Konkrete Übungen leiten an zur Regulation von Emotionen und zum systematischen Aufbau von Selbstfürsorge und Achtsamkeit). Der Ratgeber ist durchgehend in direkter Ansprache an die Leserschaft (im vertrauten „Du“) geschrieben: Alle Informationen sind darauf ausgerichtet, bei den Interessierten und Betroffenen das Verstehen der eigenen Lage und die Voraussetzungen für eine Verbesserung zu vergrößern. Daher wird dem Verständnis für menschliche Schwächen, dem empathische Einfühlen in die emotionalen Nöte und der Akzeptanz von Widersprüchlichkeiten bzw. Ambivalenzen viel Raum gegeben. Im besten therapeutischen Sinne ist die Autorin zugewandt, parteilich und unterstützend. Auffällig ist, welchen großen Stellenwert MORT den konkreten Lebensbedingungen der Menschen beimisst: Für sie gibt es keine Grenze zwischen Alltagserfahrungen und einer irgendwie spezifischen Dynamik von psychischen Störungen. Die Botschaft an ihre Leser/innen ist: „Es sind in erster Linie die vorgefundenen (defizitären oder belastenden) familiären, sozialen und materiellen Lebensbedingungen; es sind erlittene Verletzungen, Ausgrenzungen, Diskriminierungen oder Traumatisierungen, die dazu geführt haben, dass du dich in einer kritischen, belasteten oder marginalisierten Situation befindest.“ Ein wiederkehrendes Kernthema ist das Selbstwertgefühl: MORT wird nicht müde zu verkünden: „Es gibt keinen Grund, an dir zu zweifeln, deinen Wert in Frage zustellen oder Schuldgefühle wegen eines vermeintlichen Versagens zu haben. Du bist okay, du bist liebenswert, so wie du bist; du hast jedes Recht, unabhängig von deinen Leistungen oder deinem Status geachtet und geliebt zu werden!“ (Zitate von mir zusammengefasst). Zusammenfassend kann man sagen: Es ist ein stark alltags- und lebensraumbezogener psychologischer Ratgeber, in dem einzelne Störungsbilder und deren spezifische Dynamik kaum eine Rolle spielen. Der Blick auf Lebensereignisse und Lebensverhältnisse, speziell auf verschiedene Diskriminierungsmuster spielt eine entscheidende Rolle. Man merkt der in London lebenden Autorin deutlich an, das sie den AktivistInnen (z.B. der Gender- und Transbewegung) nahe steht und ihre Perspektive auf die Welt die einer engagierten jungen Frau ist, die sich auch auf den Social-Media-Kanälen zuhause fühlt (sie selbst ist auch Bloggerin und hat eine Achtsamkeits-App entwickelt). Kritisch könnte man anmerken, dass sich vielleicht nicht alle Altersgruppen gleichermaßen durch diesen Stil und diese Schwerpunktsetzung angesprochen fühlen. Manchmal vermisst man schon ein wenig bestimmte Sachinformationen, z.B. über die grundlegenden Störungsbilder (Drogensucht, Selbstverletzungen, Suizidalität), über die mögliche Rolle von medikamentöser Therapie und die spezifischen Voraussetzungen, die einen Zugang zu einer Psychotherapie (hier in Deutschland) ermöglichen. Auch über benachbarte Versorgungsangebote (Beratungsstellen oder Psychiatrie) erfährt man so gut wie nichts. Das soll den insgesamt sehr guten Eindruck dieses Selbsthilfe-Buches nicht schmälern. Bis auf den (für manche vielleicht abschreckenden) Umfang hat MORT ein niederschwelliges, einladendes und motivierendes Buch geschrieben, das auf einer soliden fachlichen Basis steht und sich angenehm von den Heilsversprechungen der Esoterik-Szene oder der „Positiven Psychologie“ (in der man alles schaffen kann, wenn man nur will und an sich glaubt) abhebt. Die Autorin unterschlägt nicht, dass die Veränderung dysfunktionaler Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster auch Geduld und Disziplin erfordert. Insbesondere für viele Betroffene in der ersten Lebenshälfte schafft MORT mit diesem Buch ganz sicher den Zugang zu einem selbstwertstützenden Verständnis des eigenen Leids und ermöglicht ein lebenspraktisches „Empowerment“ für die Bewältigung aktueller Krisen.

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