schnaeppchenjaegerin
Am Sterbebett nimmt der Vater seinen beiden erwachsenen Töchtern Meredith und Nina das Versprechen ab, sich um ihre Mutter zu kümmern. Diese wiederum soll ihren Töchtern ein Märchen zu Ende erzählen, dessen Beginn sie ihnen als Kinder erzählt hatte. Was selbstverständlich klingt, ist für die Frauen der Familie Whitson eine große Herausforderung, denn die Mutter mit russische Wurzeln litt Zeit ihres Lebens im Winter unter Depressionen und hat sich gegenüber ihren Töchtern kalt und hartherzig verhalten. Diese nun selbst ein Problem, Beziehungen einzugehen und Liebe zuzulassen. Während die ältere Meredith sich für das Familienunternehmen aufopfert, sich um die älter werdenden Eltern kümmert und ihre eigenen Wünsche stets zurückstellt, gerät ihre Ehe in eine tiefe Krise. Nina hat sich selbst in die Arbeit geflüchtet und reist als Fotojournalistin rastlos von einem Krisenherd zum nächsten. Nach dem Tod des Vaters, der die Familie zusammengehalten hat, ist es Nina, die nach Hause zurückkehrt und ihre Mutter drängt, das Märchen zu beenden. Anja beginnt zu erzählen und endlich scheinen sich die Frauen ein Stück näher zu kommen, während ihnen bewusst wird, dass das Märchen symbolisch für das steht, was die Mutter in der Vergangenheit in Russland erleiden musste. Der Roman wird abwechselnd aus der Perspektive einer der beiden Schwestern erzählt, die ganz unterschiedliche Charaktere sind und als Erwachsene die Nähe zueinander verloren haben. Nina ist empathischere, chaotischere von beiden, die mit ihrer unerschrockenen Art als erstes einen Zugang zu der Mutter findet, die nie ein Interesse für ihre Töchter gezeigt hat. Meredith hat hingegen eine Mauer um sich aufgebaut, möchte nur noch die schöne Fassade wahren und hat es aufgegeben, um Liebe und Aufmerksamkeit seitens der Mutter zu kämpfen. Der Tod des Vaters ist ein Einschnitt, der die drei Frauen in ihrer Trauer näherbringt und sie in Gedenken ihres Vaters und Ehemanns bemühen lässt, ihre Versprechen einzulösen. Die Töchter beginnen sich um ihre Mutter zu kümmern, die nach dem Tod ihres Mannes verwirrt erscheint. Anja erzählt das Märchen von dem armen Mädchen, dass sich in einen Prinz verliebt und dem gegnerischen Schwarzen Ritter im Schneekönigreich weiter. Dies geschieht allerdings nur häppchenweise und immer nur dann, wenn es dunkel ist. Allmählich beginnen die Töchter zu begreifen, was ihre Mutter bis heute verängstigt und was sie derart traumatisiert hat, dass sie nicht in der Lage ist, Liebe zu zeigen und zu geben. "Winterschwestern" ist ein Roman, der bereits vor zehn Jahren mit dem Titel "Ein Garten im Winter" erschienen ist und nun neu gestaltet wieder aufgelegt wurde. Es ist ein schwermütiger Roman, der die/ den Leser*in in die stalinsche Zeit versetzt, die von "Säuberungen", Terror geprägt war. Diese Schreckenszeit wird parabelhaft anhand eines Märchens geschildert, in der ein "Schwarzer Ritter" willkürlich agiert und die Menschen in Russland in Angst versetzt. Das Märchen gibt das Erlebte der Mutter wieder, das so schrecklich ist, dass sie es nur auf diese distanzierte Art schildern kann. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges entwickelt sich das Märchen zu einer brutal ehrlichen Nacherzählung der Erlebnisse Anjas. Das erlebte Trauma ist keine Entschuldigung, aber eine Erklärung für ihr kaltherziges, ungerechtes Verhalten. Etwas überraschend erscheint, dass die Mutter sich nun im Alter von über 80 Jahren gegenüber ihren Töchtern öffnet und von ihrer Vergangenheit erzählt. Die Geschichte entfaltet sich langsam und zeigt damit, wie schwer das Familiengeheimnis auf allen lastet. Es ist ein Roman #GegendasVergessen, der ein Beweis dafür ist, wie die Vergangenheit einen Menschen prägen kann, wie lange Traumata nachwirken und welche Auswirkungen diese noch auf nachfolgende Generationen haben. Mit "Winterschwestern" hat Kristin Hannah einen zutiefst bewegenden Roman über die Folgen einer dunklen, leidvollen Zeit geschrieben, der tiefe Einblicke in die Psychen dreier Frauen bietet, der jedoch am Ende im Vergleich zu dem beklemmenden "Märchen" weit hergeholt kitschig endet und nach all den erlittenen Verletzungen die Macht der Vergebung zu groß und die Lösung der zwischenmenschlichen Probleme zu leicht erscheinen lässt.