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«Insofern verstehen wir dieses Buch auch als Versuch, den sicherlich vielen guten Polizist:innen im Land zu helfen – indem wir nicht nur die Fehler im System aufzeigen, sondern auch eine Lösung dafür anbieten. Uns geht es nicht darum, die Polizei unter Generalverdacht zu stellen. Wir wollen vielmehr für ein System streiten, das das Wirken der Polizei durch unabhängige Kontrolle gegen Zweifel und Vertrauensverlust schützt. Denn weder wir Bürger:innen noch der Großteil der Polizist:innen können ein Interesse daran haben, dass unser Verhältnis dauerhaft in Schieflage gerät – weil immer wieder ein neuer «Tatort Polizei» auftaucht.» Die Polizei, dein Freund und Helfer - so sollte es sein. Natürlich haben es Polizisten nicht leicht in ihrem Job, bei dem sie tagtäglich mit Gewalt konfrontiert sind, was in diesem Buch auch immer erwähnt wird. Geschult auf Deeskalation – verbale Attacken von sich abperlen lassen ... Doch immer häufiger werden gewalttätige Übergriffe durch Beamte öffentlich, und die Republik wird durch rassistische und rechtsradikale Chatgruppen im Polizeiumfeld erschüttert. Hat das Ganze vielleicht System und wird es innerhalb der Polizei geduldet, gedeckelt, nicht aufgearbeitet? Die Autoren gehen dem nach und recherchieren über Jahre, decken das Systemversagen auf. Was läuft schief bei der deutschen Polizei? Und was ist nötig, um die Fehler zu beheben? «Da habe der Einzelne, sei er noch so kritisch, keine Chance. ‹Das muss man klar sagen: Nur weil es kritische Polizisten gibt, ändert das nichts am System. Das ist ein strukturelles Problem ...›» Polizist:innen, die intern kritisieren oder gar Kolleg:innen anzeigen, müssen mit Schikane und Mobbing rechnen, auch durch die Vorgesetzten! Opfer von Polizeigewalt bleiben derweil auf sich allein gestellt, es fehlt an unabhängigen Ermittlungseinheiten. Denn sie müssen sich ja mit ihrer Anzeige an die Polizei oder Staatsanwalt wenden. Oft genug erhalten diese Opfer obendrauf eine Anzeige von Polizisten wegen Beamtenbeleidigung oder Körperverletzung – nur weil sie versuchten, sich der Angriffe zu wehren. Ein Innenminister, der zu einer Reform des Systems bereit ist, müsste schon ordentlich cojones mitbringen. Jan Keuchel und Christina Zühlke haben mehrere Jahre für den Westdeutschen Rundfunk (WDR) und das Handelsblatt recherchiert. Aus diesen Reportagen ist dieser Band entstanden – ebenso in Reportagenform aufgebaut. Das Buch ist ein Plädoyer für eine Systemreform in Deutschland, um die vielen anständigen Polizist:innen vor jenen Kolleg:innen zu schützen, die den Ruf einer der wichtigsten Institutionen unseres Staates schleichend zerstören. «Darauf sagte der Revierleiter: Kollege, das ist auf diesem Revier nie vorgekommen. Dann hab´ ich gesagt: Natürlich ist das vorgekommen. Darauf hat er die Brille abgenommen und hat gesagt, ich habe Ihnen gerade gesagt, so etwas ist auf diesem Revier nie geschehen. Ach so, hab` ich gesagt, jetzt habe ich Sie verstanden.» Es werden verschiedene Fälle dargestellt, die unglaubliche Geschichte von Sven durchzieht das Buch in Etappen. Er saß etwas benommen in einer McD-Toilette im Vorraum auf einem Stuhl, als Polizisten hereinstürmten und ihn niederschlugen. Was danach geschah, ist unfassbar: gefesselt, an Händen und Füßen hinausgetragen, in eine Zelle gesteckt und noch einige rechtwidrige Schoten folgen. Es gibt eine Menge Zeugen, Videos. Sven nimmt sich einen Anwalt, als er selbst angeklagt wird, geht selbst juristisch gegen die Polizisten vor. Unter den Zeugen, die für ihn aussagen, ist eine Polizistin und in der ersten Distanz wird er freigesprochen. Der Staatsanwältin gefällt das nicht und sie legt Berufung ein, obwohl der Sachverhalt ziemlich eindeutig ist. Der Richter in der 2. Instanz bittet sie mehrfach, zurückzuziehen, auch noch während der Verhandlung, als er den Vorfall zusammenfasst. Dieses Urteil ist noch eindeutiger, der Richter kritisiert das Vorgehen der Polizei, fragt nach, was die Ermittlungen gegen die Beamten machen. Läuft noch, Vorgang nicht abgeschlossen. Die Staatsanwältin geht in die nächste Instanz. Nachdem auch dieser Prozess durch ist, laufen die Ermittlungen gegen die Polizisten immer noch ... An diesem Fall wird eine Menge im System erklärt. Es wird erklärt, dass in den USA die Staatsanwaltschaft lediglich zur Durchsetzung des Schuldspruchs zuständig ist; anders in Deutschland, wo die Staatsanwaltschaft, nach allen Seiten offen sein muss, ebenso während des Prozesses, gleichfalls den Entlastungen für den Angeklagten nachgehen muss. Hier fragt man sich, weshalb eine Staatsanwältin so penetrant, eben gegen den Rat sämtlicher Richter, weiter auf einen Schuldspruch besteht? Eine Sache, die dem Steuerzahler mächtig Geld gekostet hat. Es geht auch um andere Tendenzen, Rassismus und rechte Gruppen in der Polizei; wie z.B. die interne Chatgruppe von Polizist:innen in NRW, die 2020 aufflog. «In 96 Prozent der Fälle wird das Verfahren eingestellt. Nur in etwa zwei Prozent der Fälle kommt es zu einer Anklage gegen Polizist:innen (der Rest sind Verfahren, die zum Beispiel bereits wegen fehlender Zuständigkeit ad acta gelegt werden).» In den Reportagen kommen die Opfer zu Wort, deren Zeugen, Polizist:innen, Gerichtsakten werden eingesehen, das System dargestellt. Rechtswissenschaftler und Kriminologen kommen zu Wort, die an dem Thema forschen und fordern, die Struktur in der Polizei zu ändern und sie bieten Lösungen für eine unabhängige Stelle, die dem Landtag zugeordnet ist, an die sich Opfer wenden können, ebenso Polizist:innen, in ihren Revieren gern Ordnung schaffen würden. Ein interessantes Sachbuch, das sich mit einem wichtigen Thema beschäftigt, besonders darum, weil es Lösungen bietet. Christina Zühlke ist Film-Autorin für die ARD und den WDR. Jan Keuchel ist Redakteur beim «Handelsblatt».