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Buchdoktor

Posted on 18.6.2022

Ah Hock steht vor Gericht, weil er einen Mann erschlagen hat. Als sein Kindheitsfreund Koeng als Leumundszeuge vernommen wird, fragt man sich als Leser, was der andere Mann mit dem Verbrechen zu tun hat und ob er Ah Hock mit seiner Aussage nicht erst recht ins Unglück stürzt. In der Gegenwart hat der Verurteilte seine Strafe verbüßt und lebt in bescheidenem Wohlstand. Seine Treffen mit einer chinesisch-amerikanischen Journalistin über mehrere Monate hinweg blättern in Rückblicken die Kindheit der jungen Männer auf und welche Ereignisse zu dem Mord geführt haben. Als Keong mit seiner Mutter in Ah Hocks Dorf im südwestlichen Malaysia zieht, treffen Stadt und Land aufeinander. Der ältere Keong hat die Schule geschmissen und ist in Kuala Lumpur gescheitert. Als letzte Rettung vor einer Karriere als Kleinkrimineller deportiert seine Mutter ihn quasi aufs Land. Ah Hock stammt von Fukkien-Dialekt sprechenden chinesischen Einwanderern ab, die aus der Provinz Fujien zuerst nach Sumatra und weiter nach Kuala Lumpur auswanderten. Die Lage ihres Dorfes an der Flussmündung zwingt sie zum Fischen und zur Fischverarbeitung. Man ahnt, dass sie eine weitere Wende in ihrem Leben nicht mehr ertragen werden, obwohl die Verschmutzung von Flüssen und dem Meer ihnen bereits die Lebensgrundlage entzieht. Keong war schon als Kind leicht zu beleidigen und schlug dann gnadenlos zu. Die Beziehung zwischen den Jugendlichen war nie einfach; denn Keong war „wie ein Stein im Schuh“. Die Werte, nach denen Ah Hocks Familie lebt, zwingen ihn den „Freund“ zu decken. Als Keong sich nach langer Abwesenheit wieder bei Ah Hock meldet, hat der vergeblich versucht, mit ehrlicher Arbeit zu überleben. Der Jüngere setzte stets auf Fleiß und Zuverlässigkeit und verließ sich darauf, dass seine Chefs das schon bemerken und ihm Zulagen zahlen werden. Durch steigende Zahlen von illegalen Einwanderern und Flüchtlingen aus Myanmar ist ehrliche Arbeit jedoch nichts mehr wert. Zwei Illegale arbeiten billiger als Ah Hock. Wie die Fischerfamilien in seinem Dorf sieht Ah Hock sich Ereignissen hilflos ausgeliefert, die er nicht beeinflussen kann. Mit großer Verantwortung und zu geringem Lohn arbeitet er inzwischen in einem Fischzucht-Betrieb, als er dringend Keongs Hilfe braucht. In der Szene der Schleuser und Vermittler illegaler Arbeitskräfte kommt es schließlich zum Mord, für den Ah Hock büßen wird. Der Icherzähler zeichnet das Bild eines Vielvölkerstaates, in dem es stets eine Gruppe gegeben hat, der man sich überlegen fühlen konnte – aufgrund von Nationalität oder Hautfarbe. Je dunkler die Hautfarbe, desto tiefer die Stufe, die einem zugestanden wird. Zuwanderung hat den vorhandenen Konflikt eskalieren lassen; denn sie machte Menschen und Fluchtwege zur Ware. Ah Hocks Gespräche mit der Journalisten zeigen, dass der Jüngere nach den Regeln seines Fischerdorfs spielt, die zwangsläufig mit Eskapaden des älteren Keongs kollidieren müssen. Auch die Interviewerin spielt nach eigenen Regeln, die einem Jungen vom Dorf fremd sein werden. Ah Hock hat mich damit beeindruckt, wie er über Ereignisse spricht, die er als Jugendlicher noch nicht wahrnehmen konnte, obwohl sie offensichtlich waren. Ah Hocks Schicksal und sein gradliniges Erzählen tragen zu gleichen Teilen zu dem hochaktuellen, berührenden Roman bei.

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