Bris Buchstoff
Bretagne - mon amour Vielleicht wundert sich die Eine oder der Andere von euch, von mir einen Roman mit dem Titel „Liebe fliegt, wohin sie will“ hier zu finden. Ja, ihr habt Recht, eigentlich fallen Bücher mit solchen Titeln und den entsprechend floral gestalteten Covern nicht ursprünglich in mein Beuteschema. Andererseits heißt es ja auch immer „don’t judge a book by ist cover“ – also nicht von Äußerlichkeiten abschrecken lassen oder aufgrund dieser eine vorgefertigte Meinung haben. Gezogen hat bei mir in diesem Fall der Ort der Handlung – die Bretagne –, das Stichwort Ökologische Landwirtschaft und die Aussicht auf eine kleine Überraschung. Die Überraschung war mitnichten klein und ich muss mich tatsächlich noch direkt bei Franziska Jebens bedanken, die dieses Plus so wunderbar gestaltet hat. Alles, was in einem kleinen Kistchen den Weg zu mir fand, hat einen Bezug zu diesem Roman, der eine perfekte Sommerlektüre ist. Gleich vorab – ja, es geht um eine Liebesgeschichte, aber nicht nur und nein, die üblichen Klischees werden nicht bedient. Jebens ist hier etwas gelungen, das sogar mich überzeugen konnte, die ich mich zwar als Romantikerin bezeichne (man beachte nur meine große Liebe zu F. Scott Fitzgeralds Geschichten und seinen tragischen Helden), aber zugeben muss, dass ich mit Liebesgeschichten, vor allem jenen, die gut ausgehen, so meine Probleme habe. Glücklicherweise ist Jebens Geschichte zwar sommerlich leicht, aber weder zuckersüß noch kitschig und so haben wir sehr gut zueinander gefunden. Cleo ist eine äußerst erfolgreiche Berliner Stylistin. Ein Job jagt den nächsten, den Wandel der Modebranche nimmt sie aufgrund einiger ihr eigenen Prinzipien vielleicht positiver wahr, als er bisher ist. Prinzipien, von denen sie nie zugeben würde, dass diese durch die früher als sehr einengend empfundene Erziehung durch ihre Eltern geprägt sind. Sie liebt ihren Job, die Unabhängigkeit und Freiheit dabei sind ihr überaus wichtig. Freiheit ist sowieso etwas, was für sie über allem steht. Und weil sie als Kind auf vieles achten sollte – gerade was ihre Umwelt angeht – kam sie zu ihrem eher ungewöhnlichen und etwas gefährlichen Hobby, dem Fallschirmspringen. Die kurze Zeit schwerelos in der Luft gibt ihr ein Gefühl, das mit nichts zu vergleichen ist und entspannt sie gleichermaßen. Neben dem Broterwerb als Stylistin bietet sie ihre Dienste kostenfrei auch älteren Damen an. Auch das gewissermaßen ein Produkt ihrer Erziehung, allerdings mit dem Touch an Glamour, der ihr zuhause immer fehlte. Es macht sie glücklich, wenn die Damen ihren eigenen Stil entwickeln und sie über kurz oder lang nicht mehr gebraucht wird. Dass sie schlecht schläft und gestresst ist, nimmt sie nicht hundertprozentig wahr, beziehungsweise schiebt es auf die vielen aufeinanderfolgenden Jobs, die sie in letzter Zeit hatte. Ihre Arbeit selbst, die ihrer Kreavität freien Lauf lässt, macht ihr nach wie vor große Freude und der langersehnte Strandurlaub ist zum Greifen nah. Eine Sache jedoch nagt an ihr und das ist ihr sehr bewusst: die Großmutter ihrer besten Freundin ist kürzlich verstorben, ohne dass sie diese noch einmal besuchen konnte. Sie hätte gerne noch mehr Zeit mit Helene verbracht, die für sie wie eine eigene Oma war und ihr den Weg in die Welt der Mode eröffnet hatte. Aber Helene wirkt auch über ihren eigenen Tod hinaus – sie vermacht Cleo viele ihrer kultigen Kleidungsstücke. Wahre Schätze sind darunter und Cleo freut sich zwar sehr, doch der Wermutstropfen des verpassten letzten Besuches wird dadurch nicht süsser, eher bitterer. Aber Helene wäre nicht Helene, hätte sie nicht auch noch Hintergedanken, was das Erbe angeht. Cleo muss vier Wochen auf der ökologisch bewirtschafteten Farm eines zurückgezogen lebenden Unbekannten verbringen und dort mitarbeiten, um ihr Erbe antreten zu können. Erfahrung dafür hat sie, ihre KIndheitsurlaube verbrachte sie auf dem Bauernhof von Onkel und Tante, wenngleich auch eher ungern. Franziska Jebens fädelt es geschickt ein, zu zeigen, dass man das Hamsterrad, das man sich selbst gebaut hat, auch mal verlassen muss, um eine Weiterentwicklung möglich zu machen. Hier wird einem nichts dick aufs Butterbrot geschmiert, sondern in kleinen Nebensätzen einfach erwähnt. Ob man diese Erkenntnisse, die zwar nicht neu sind, aber doch immer mal wieder im eigenen Leben reflektiert werden sollten, annimmt, das entscheidet man ja selbst. Unaufdringlich aber nachhaltig, so wie es mir gefällt, hat sich da eine junge Frau in meine Gedanken eingeschlichen und mir selbst ein bisschen gezeigt, was ich anders machen könnte und wer ich einmal war. Ein interessanter Nebeneffekt, der nur funktioniert hat, weil ich mir Cleo so gut vorstellen konnte. Was das Setting der Farm in der Bretagne angeht – von jeher mein Traum, dort oder an einem ähnlichen Ort einmal leben zu können. Während der Lektüre war ich unterwegs dort, habe die Orte wiedergesehen, die ich auf Reisen besucht habe und die sich bis heute in meinen Erinnerungen festgesetzt haben. Die Lektüre dieses Romans, den ich im Laden wohl eher nicht in die Hand genommen hätte – das werde ich in Zukunft auch anders handhaben – hat mir eine Tür aufgemacht aus der gerade sehr anstrengenden Realität in eine Flucht mit Perpektive. Danke Franziska Jebens für diesen schönen, zwar leicht zu lesenden aber niemals platten Roman. Ich wünsche mir eine Badewanne mit Blick aufs Meer, irgendwo wo das für mich möglich sein könnte – am liebsten aber tatsächlich in der Bretagne, deren schroffe Lieblichkeit sich sehr gut in der Lektüre spiegelt. Liebe Franziska – ich danke Dir auf diesem Wege auch für die wunderbaren, handgeschriebenen Zeilen auf der Postkarte mit Cleos Bucht – ich weiß, es gibt sie nicht wirklich, aber für mich existiert sie nun …