schnaeppchenjaegerin
Circe ist die Tochter des Sonnengotts Helios der Nymphe Perse, ist aber im Gegensatz zu ihren Geschwistern nicht makellos schön und zudem mit einer piepsigen Stimme gestraft, wie sie sonst nur Sterbliche haben. Von den Geschwistern verspottet, der Mutter abgelehnt und vergebens um Anerkennung von ihrem Vater buhlend, interessiert sich Circe zunehmend für die sterblichen Menschen. Als Helios Zeus gegenüber ein Opfer bringen muss, verbannt er seine unliebsame Tochter Circe auf die Insel Aiaia, wo Circe unter ihrer Einsamkeit leiden soll. In den Jahren, die sie dort allein mit Tieren und Pflanzen zubringt, entwickelt sie ihre Zauberkräfte fort. Sie begegnet zahlreichen Menschen, die auf ihrer Insel stranden, hilft einem Teil von ihnen und tötet den anderen. Einen besonderen Eindruck hinterlässt Odysseus, König von Ithaka und heldenhafter Kämpfer im Trojanischen Krieg. Sein Besuch dauert über Monate an und das nicht ohne Folgen. Miranda Miller hat den Mythos um die Zauberin Circe aufgegriffen und einen Roman über das Leben der verbannten Göttin geschrieben. Die Idee ist originell, die Umsetzung erweist sich jedoch als phasenweise zäh. Während der Beginn mit der Einführung der Götterwelt und dem Aufwachsen Circes in einer Umgebung, in der sie sich nicht zugehörig fühlt, vergleichsweise fesselt, ist der Mittelteil mit der Verbannung Circes auf die einsame Insel langatmig geschildert. Es werden dabei gefühlt alle Götter, Halbgötter, Titanen, Nymphen und Helden der griechischen Mythologie erwähnt, denen Circe begegnet und die sie mehr oder weniger intensiv in den folgenden Äonen begleiten. Diese Vielzahl der Figuren erschlägt, insbesondere wenn man sich nicht mit wesentlichen Details der griechischen Mythologie auskennt, da die Hintergründe zu den Charakteren und den Verbindungen untereinander sich nicht unmittelbar erschließen. Die Begegnungen werden chronologisch beschrieben, sind dadurch episodenartig und für meinen Geschmack zu lose verwoben. Circes Verlorenheit und daraus resultierende Einsamkeit sind nachvollziehbar, denn sie hat als Göttin zutiefst menschliche Züge, die ihren Verwandten fehlen. Sie entwickelt Ängste und Emotionen sowie Mitgefühl für die Sterblichen, was ihr zum Verhängnis wird. Auf der anderen Seite kann sie jedoch in ihrem Verhalten ähnlich grausam sein wie die anderen Götter. Gewalt und Machtspiele der Götter nehmen in dem Roman einen großen Raum ein, ohne die Handlung wesentlich weiterzuentwickeln. Circe befindet sich dabei stets zwischen den Welten - einerseits ist sie als Tochter des Titanen Helios göttlicher Natur und unsterblich, andererseits ist sie verbannt und entwickelt Gefühle für die Sterblichen. Die Spannung ist auf einem gleichbleibend niedrigen Niveau. Interessant wird es nach dem vielversprechenden Anfang erst am Ende, wenn Circe sich entscheiden muss, auf welche Seite sie gehört. Dabei kommt ihr die über die Äonen charakterliche Weiterentwicklung zugute, die sie von einem verschüchterten, verstoßenen Mädchen zu einer starken, selbstbewussten Frau hat werden lassen, die für sich einsteht. Circe ist eine sagenhafte, empfindsame Heldin, die sich wiederholt für die Sterblichen und diejenigen, die sie liebt, einsetzt und damit den Zorn der Götter auf sich zieht. Auch wenn sie selbst als Göttin unsterblich ist, über Zauberkräfte verfügt und scheinbar nichts zu verlieren hat, ist ihr Handeln mutig und selbstlos, denn die Strafen der Götter können schlimmer sein als der Tod, was anschaulich beschrieben wird. Die dramatische und abenteuerliche Erzählung, die eine weibliche Figur der griechischen Mythologie in den Vordergrund rückt, handelt von Liebe, Eifersucht, Neid und Rache, aber vor allem auch von einem Kampf um Selbstbestimmung und dem Bruch mit Konventionen. Die anschauliche Erzählweise erweckt Circe zum Leben, die man bisher nur als Verführerin Odysseus' kannte, die seine Odyssee verlängerte, und gibt ihr eine Stimme.