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Wordworld

Posted on 29.5.2022

Nachdem ich von Kim Leopold im März schon "The Colors of Your Soul" lesen durfte, war ich sehr gespannt, wie es in Band 2 der California Dreams Reihe wie es mit der jüngeren Schwester des dortigen Hauptprotagonisten weitergehen wird. "The Sunrise in Your Eyes" konnte mich genau wie Band 1 der Reihe sehr mitreißen, hat mich aber auf einer ganz anderen Ebene berührt als die Geschichte von Pax und Holly. Denn anders als in Band 1 erzählt Kim Leopold zusätzlich zur Liebesgeschichte von Trauer, mentaler Gesundheit, Gangs, Gewalt und Obdachlosigkeit und macht ihre Fortsetzung damit zu alles anderem als einer leichten Lektüre. Das Cover von "The Sunrise in Your Eyes" ist in meinen Augen das schönste der Reihe. Zu sehen ist ein Farbverlauf in warmen Sonnenaufgangsfarben, welcher von goldenen Adern durchzogen ist und durch die Textur ein wenig an die Brandung von Wellen auf dem Sand erinnert. Der geschwungene Titel ist diesmal in violetter Glitzerschrift abgedruckt. Auch wenn es als Ganzes stimmig und hochwertig gestaltet ist, ist mir die Gestaltung für meinen persönlichen Geschmack aber wieder ein wenig zu bunt, zu glitzernd und insgesamt zu nichtssagend. Auch den Titel halte ich nur für mäßig gelungen, da ich ihn schon während des Lesens mehrere Male vergessen habe und auch keinen direkten Bezug zur Handlung ziehen kann. Mir würden auf Anhieb eine Menge Motive einfallen, die sich in meinen Augen besser auf dem Cover oder im Titel gemacht hätten. Erster Satz: "Ich weiß nicht, ob ich das Auto cool oder doch eher peinlich finden soll." Auch die Atmosphäre der Geschichte kann das fröhliche Cover nur zum Teil einfangen. Über die Tatsache hinaus, dass die Geschichte hier wieder im sommerlichen Kalifornien spielt, zeigt "The Sunrise in Your Eyes" genau wie schon Band 1 deutlich mehr Tiefe als das verspielte Cover es vermuten lassen würde. Damit sind die Vergleiche zu Band 1 aber auch schon erschöpft. Denn während sich die Geschichte von Pax und Holly in Band 1 auf angenehme Art und Weise mit den Themen Lebenssinn, Minimalismus, Social Media und Van-Leben auseinandersetze und insgesamt ein sommerlicher Feelgood-Roman war, widmet sich "The Sunrise in Your Eyes" mit einer ganz anderen Kategorie an Themen und ist in der Gänze alles andere als eine leichte Sommerlektüre. Maverick: "Du weißt, dass du niemandem etwas beweisen muss." Ihre Stimme ist leise und schwingt von Bedeutung. "Alles, was Mom und Dad für dich wollen, ist, dass du glücklich bist." "Ich weiß", erwidere ich - und es stimmt. Ich weiß das, aber irgendwo zwischen Kopf und Herz verpuffen diese Botschaften. Ich weiß das alles. Aber ich fühle es nicht." Kim Leopold hat sich hier entschieden, die zwei Seiten der Stadt L.A. schonungslos gegenüberzustellen und im Leben der beiden Hauptfiguren aufeinanderprallen zu lassen. Zum einen wäre da die glitzernde Welt der Reichen und Schönen, in die Maverick als gefragter Hochzeitsfotograf tagtäglich einen Einblick erhält. Auf der anderen Seite steht jedoch das Leid der Menschen in der sogenannten Skid Row, einem Straßenviertel, in dem über 60.000 Menschen auf der Straße leben. Wer an Los Angeles denkt, hat sofort Bilder von schönen Stränden, opulenten Partys und Hollywood im Kopf, dass eine so große Anzahl von Menschen obdachlos sind und sich jeden Tag durchschlagen müssen, war mir nicht bekannt. Auch wenn es unbequem war, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, ich bei der ein oder anderen Szene ganz schön schlucken musste und mich emotional nur auf eine Lovestory eingestellt hatte, bin ich sehr froh, dass die Autorin mit ihrer Geschichte auf dieses Thema aufmerksam macht. Für die Bilderstrecke, die Maverick von Skid Row macht, um auf das Leid dort aufmerksam zu machen, dem er nur durch die Adoption liebender Eltern entkommen ist, gibt es ebenfalls ein reales Vorbild. Schaut unbedingt mal in die Fotos von Suzanne Stein rein, da wird einem ganz anders. Mit "The Sunrise in Your Eyes" zeigt Kim Leopold also mal wieder, dass das New Adult Genre definitiv mehr kann als unterhaltsame Liebesgeschichten zu erzählen! Allegra: "Die meisten Menschen, die auf der Straße leben, stehen vor den Trümmern ihres Lebens. (...) Egal wie gut deine Verhältnisse vorher waren, wenn du in diesen Straßen landest und nicht schnell wieder rauskommst, gewöhnst du dich an die neuen Lebensumstände. Und irgendwann hast du den Punkt erreicht, an dem du so kaputt bist, dass du nicht mehr an Rettung oder Heilung glaubst." Andy hat die Hände zu Fäusten geballt, während er spricht. In seinem Gesicht liefern sich Wut und Trauer einen Wettkampf. Mein Herz schmerzt, wenn ich an all die Menschen denke, die hier - inmitten einer großen Stadt - einfach verloren sind. "Es gibt so viel Leid. Das kann man nicht einfach ausblenden. Irgendwann bricht da die stärkste Seele." Loben möchte ich Kim Leopold auch dafür, dass der Spagat zwischen süßer Liebesgeschichte und düsterem Drama hier erstaunlich gut gelungen ist. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schwer es war, die zwei Pole der Handlung zu einer homogenen Geschichte zu vereinen, wenn es schon mir beim Lesen an einigen Stellen schwerfiel, umzuschalten und mich auf die schöneren Seiten der Geschichte einzulassen. Denn neben dem portraitierten Leid und der teilweise sehr action- und abenteuerreichen Handlung in Skid Row, steht natürlich das Kennenlernen und die Annäherung der beiden Hauptfiguren im Vordergrund. Die Idee, dass die beiden sich in zwei unterschiedlichen Kontexten kennenlernen und doppelt ineinander verlieben, ohne zu wissen, wer der jeweils andere ist, fand ich charmant umgesetzt, auch wenn ich die beiden durch die turbulente Handlung als Paar zu Beginn nicht sehr gefühlt habe. Als hätte die Autorin ebenfalls befürchtet, dass der Realitätsschock ihres Themas die romantische Stimmung abtötet, macht sie alles Versäumte aber durch einen wunderschönen Ausflug in die Wüste, auf ein Weingut und ans Meer wieder gut und verströmt Urlaubsfeeling pur. Maverick:"Sie schmeckt nach Eistee und Spätsommertagen, süßlich, lieblich, wie eins von den Gedichten, die ich früher immer geliebt, aber doch nicht so richtig verstanden habe. "Ich mag dich wirklich gern, Allegra", gestehe ich ihr, weil dieser Moment perfekt ist. Ein Schnappschuss aus einem Leben, das ich gerne leben würde. Spaziergänge zwischen Weinreben, den sanften Wind auf der Nase und Gelächter, so viel Gelächter, das den Tag erhellt." Umrahmt wird diese Idee vom humorvollen, leicht träumerischen und authentischen Schreibstil der Autorin. Nach Band 1 der Reihe, "The Colors of Your Soul", war "The Sunrise in Your Eyes" nun mein erstes Buch von Kim Leopold und ich bin mir nun sicher, dass noch einige weitere folgen werden. Denn auch hier hat es mir wieder wunderbar gefallen, wie sie ohne viele Worte einen greifbaren Eindruck von ihren Figuren vermittelt und einfühlsam deren teils schmerzhafte, teils befreiende Erkenntnisfindung beschreibt. Die beiden Ich-Erzähler sind mir demnach auch sehr schnell ans Herz gewachsen und entpuppten sich als komplexe und sympathische Figuren. Als Bonus erhalten wir auch hier wieder einige schöne Beschreibungen der Landschaft Kaliforniens, auch wenn hier durch die Gegenüberstellung der schönen und hässlichen Seiten gemischte Gefühle für LA zurückbleiben. Das Ende sorgt dafür, dass man die Geschichte nach 432 intensiven Seiten alles in allem mit einem positiven Gefühl weglegen kann. Wie Kim Leopold die einzelnen Fäden ihrer Handlung verbindet, hat mir sehr gut gefallen. Etwas getrübt wird das Bild nur durch das etwas unnötige künstliche Drama kurz vor Schluss. Dennoch: vor allem in Kombination mit dem Nachwort der Autorin entfaltet die Geschichte eine tolle Message: "Das ist es, was ich dir mit diesem Buch auf den Weg geben möchte: Tiefe Emotionen sind okay. [...] Stell dir nur mal vor, wie stark wir wären, wie viel wir verändern könnten, würden wir uns trauen, wirklich alles zu fühlen." Fazit: "The Sunrise in Your Eyes" erzählt eine Geschichte über Familie, Freundschaft, Fotografie, Obdachlosigkeit und Leid, die an manchen Stellen schmerzt, an anderen aber wunderschön zu lesen ist. Damit fängt Kim Leopold gekonnt das Bild einer gespaltenen Stadt ein und zeigt, wie nahe Glück und Trauer beieinander liegen können.

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