herbstrose
Gewalt zerstört – Liebe heilt Als jüngstes von vier Geschwistern wächst Juli Ehre in einem Stuttgarter Vorort auf. Die Eltern sind erfolgreiche Rechtsanwälte, sie selbst ist in der Schule stets Klassenbeste. Nach außen hin ist eitel Harmonie in der protzigen Villa, doch hinter den verschlossenen Türen herrscht das Grauen. Der Vater prügelt die Kinder auf Leistung und macht in seinem unbeherrschten Zorn auch vor seiner Frau nicht halt. Diese versucht eine gewisse Normalität aufrecht zu erhalten, indem sie die Prügeleien des Vaters verharmlost und zu vertuschen versucht. Jetzt, mit 17, konnte Juli dem Druck nicht mehr standhalten, ist „durchgeknallt“, war auf Reha und geht nun nach Berlin, wo sie sich Jules nennt und versucht, ihr Leben zu ordnen. Doch das ist nicht einfach, nach all den Gewaltexzessen und Verletzungen in der Kindheit … „Liebe ist gewaltig“ ist das Debüt der 1986 in Tübingen geborenen Autorin Claudia Schumacher. Ihre Jugend verbrachte sie in Stuttgart, studierte in Berlin und lebte und arbeitete danach sieben Jahre in Zürich als Journalistin und Kolumnistin und war Redakteurin bei der NZZ am Sonntag. Heute lebt sie in Hamburg, wo sie u.a. für DIE ZEIT schreibt. Kein Wohlfühlbuch, das uns die Autorin hier präsentiert, sondern eine Geschichte über die Abgründe des menschlichen Lebens, über Gewalt, seelischen Verletzungen, Flucht ins bürgerliche Leben, die Suche nach Liebe und die Unfähigkeit, eine harmonische Beziehung zu führen. Wir lernen Juli in verschiedenen Lebensphasen kennen und begleiten sie in den Jahren 2007, 2014 als Jules, 2016 als sie sich Julia nennt und zuletzt heute im Epilog. Wir erfahren mehr über die Familie, die Geschwister und über Julis jeweilige Versuche, die Vergangenheit zu bewältigen. Es stellt sich dabei die Frage, ob man die Schuld für ein verkorkstes Leben einfach auf die Eltern abwälzen kann, oder ob man nicht selbst für sein chaotisches Dasein die Verantwortung trägt? Ein starkes Debüt der Autorin, sprachgewaltig, aufrüttelnd und klug aufgebaut. Man wird als Leser*in nicht geschont, sondern beinahe brutal mit den Tatsachen konfrontiert. Es ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle, Tragik und Komik, Schmerz, Liebe und Trauer, alles ist hier versammelt. Sämtliche Personen wirken sehr lebensecht und authentisch, besonders da die Protagonistin als Ich-Erzählerin von ihren verschiedenen Lebensphasen sehr plastisch berichtet und sich ihr Verhältnis zu den Eltern und Geschwistern im Laufe der Jahre auch verändert. Ein ergreifender Brief von Julis Bruder Bruno und der abschließende Epilog runden das Geschehen gekonnt ab. Fazit: Eine großartige Familiengeschichte über Macht und Dominanz, über körperliche und seelische Verletzungen und über die Kraft der Liebe.