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Wedma

Posted on 25.5.2022

Dieses Werk habe ich gern gelesen. Es hat einfach Spaß gemacht. Zumindest auf etwa 4/5 der Gesamtstrecke. Der Autor kennt sich in seinem Fach Geschichte Großbritanniens bestens aus und weiß, sein Wissen bildhaft, sehr zugänglich und spannend zu präsentieren, und somit den Leser auf diese leichte und intelligente Art prima zu unterhalten. Gerade diese Art der Stoffdarbietung hat auf weiten Strecken viel Lesevergnügen bereitet: diese Pfiffigkeit, der leicht ironisch-humorige Ton, wenn es um die früheren Zeiten in Teil I und II ging. Kapitel 7 im Teil II (Die Neuausrichtung: 1713-1815), auch Kapitel 8 (Weiter, immer weiter: 1815-1865), fallen sehr aussagestark aus: Sie beschreiben u.a. die Dinge, die damals zugrunde gelegt wurden, die wiederum das Geschehen in Europa heute plausibel erklären können. Der Autor liefert auch bestimmte Fakten, die einem auch historisch interessierten Leser bis dato nicht so geläufig waren. Spannende Vergleiche, z.B. Großbritannien im 16 und 19. Jh., wie sich das Land und Menschen entwickelt haben. Vergleiche der Könige, was der eine sich herausnahm und der andere nicht mehr konnte usw. setzen quasi ein Tüpfelchen auf dem i. Die zahlreichen Karten, Fotos und Zeichnungen bereichern das Leseerlebnis ungemein. Geografie spielt (natürlich) eine große Rolle. Leider, je näher die Erzählung zur Gegenwart rückte, desto öfter musste ich denken: So manches ist hier echt mit Vorsicht zu genießen, was mich das Ganze noch kritischer betrachten ließ. Die NATO-Denke machte sich auf der Strecke, die die Nachkriegszeit bis zur Gegenwart beschreibt, Teil 3, etwa hundert Seiten, deutlich bemerkbar. Mehrere Griffe der (plumpen) Meinungsmache traten zutage. (Lernen Sie mal bei Gelegenheit „Propaganda“ von Jaques Ellul kennen). Einiges wurde schöngeredet, anderes erst gar nicht erwähnt (Lesen Sie mal z.B. die Biografie von Leonid Breschnew aus der Feder von Susanne Schattenberg): Passte wohl nicht in den vorgegebenen Erzählrahmen. Das gezeichnete Bild geriet entsprechend stark verzerrt. Hier war vielsagender, was der werte Autor ausgelassen als das, was er gesagt hatte. Schade. Gerade diese leicht ironische Pfiffigkeit der ersten Hälfte, die das Werk aus der Masse gehoben hatte, fehlte im Teil 3. Klar, konnte man sich denken, dass ein Brite, der seit Jahrzehnten in den USA lebt und wirkt, wohl kaum was anderes bringen wird. Ich wollte mich aber nicht auf Vorurteile verlassen. Ich lasse mich diesbezüglich gerne mal überraschen. Es bleibt wohl dabei: „Wer die Wahrheit sagt, muss ein schnelles Pferd haben“, wie das alte Sprichwort sagt. Heute wagen nur wenige, die Dinge in aller Klarheit, den Tatsachen entsprechend zu beschreiben, und erst dann, wenn sie vom System nicht mehr finanziell und anderswie abhängig sind, wie Ulrike Guérot in ihrem sehr lesenswerten Werk „Wer schweigt, stimmt zu“ schreibt. Dennoch ist „Geografie ist Schicksal“ ein durchaus kennenlernenswertes Buch geworden, das u.a. eine gute Erklärung abgibt, warum die Briten für Brexit gestimmt haben, und noch einiges mehr. Das Buch ist hochwertig gestaltet: Festeinband, Umschlagblatt, Lesebändchen. Die vielen Karten, Fotos etc., Literaturverzeichnis, Register runden den guten Eindruck ab. Es ist schon ein dicker, recht schwerer Foliant geworden. Für die Liebhaber der englischen Geschichte ein Muss.

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