Gabriele
China zwischen Tradition und Zukunft Yingzhi wartet im Gefängnis auf die Vollstreckung ihres Todesurteils. Wie es dazu kam, wird in diesem Roman geschildert, der mich tief eintauchen ließ in ihr erbärmliches Leben. Früh geschwängert ist sie gezwungen, bei den sie ablehnenden Schwiegereltern zu leben. Während ihr Mann Guiqing sich beim Majong-Spiel vergnügt und das von ihr durch Singen in einer Band verdiente Geld versäuft, soll sie auf der Obstplantage helfen. Doch so ein Leben will sie sich nicht gefallen lassen, sie begehrt auf, was alles noch viel schlimmer macht. Brutal wird versucht, sie in die alten Sitten und Gebräuche zu zwängen. Die chinesische Autorin Fang Fang (*1955) hat sich in unseren Breiten erst durch das Wuhan Diary, ein Tagebuch über die Ereignisse während der Quarantäne in der am härtesten von der Covid-19-Pandemie betroffenen Millionenmetropole Wuhan einen Namen gemacht. Doch zu schreiben begann sie schon früher. Bis 1982 studierte sie an der Wuhan-Universität chinesische Literatur, arbeitete dann als Redakteurin einer Fernsehstation, schrieb Drehbücher für TV-Serien und veröffentlichte ihren ersten Roman. Eine Erzählung, für die sie 1989 den "Nationalen Preis für herausragende Romane" erhielt, gilt als eines der ersten Werke der damals in China neu aufkommenden Gattung des Neorealismus. 2021 veröffentlichte der Hoffmann und Campe-Verlag den Roman Weiches Begräbnis, übersetzt von Michael Kahn-Ackermann. Der hat sich nun ein Jahr später auch dem Roman „Wütendes Feuer“ angenommen und ihn mit einem sehr aufschlussreichen Nachwort ausgestattet. Hier erfährt man, dass der Roman 2002 zum ersten Mal veröffentlicht wurde und zeitlich in der ersten Hälfte der neunziger Jahre spielt. Das sind die Jahre eines gigantischen gesellschaftlichen Veränderungsprozesses, der bis in die Gegenwart andauert. Während wir im Westen nur die schnelle wirtschaftliche Entwicklung des Landes zur Kenntnis nehmen, entgeht uns die gesellschaftliche Revolution. Die wird in diesem Roman thematisiert und hat mich völlig vor den Kopf gestoßen. Yingzhis Leben ist für mich unvorstellbar. Ihre Emanzipationsbestrebungen werden regelrecht niedergeknüppelt und die von ihr angestrengte Scheidung unmöglich gemacht – egal ob von ihrer eigenen Familie oder von der eingeheirateten. Das Buch ist in einer schnörkellosen Sprache geschrieben und teilweise so spannend, dass ich es kaum aus der Hand legen wollte. Auf der anderen Seite kam ich kaum mit dem Kopfschütteln ob der in meinen Augen unvorstellbaren Zustände hinterher. Fazit: Ein gut lesbarer, erschütternder Roman, der einen guten Einblick in das chinesische Landleben Ende des vergangenen Jahrhunderts gibt. Leseempfehlung!