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renee

Posted on 10.5.2022

Gefühlsdschungel, Zugehörigkeit, Schwesternschaft und Dunkelheit Wieder ein Buch, welches in Südamerika handelt. Diesmal entführt Lorena Salazar die Leserschaft nach Kolumbien, an den Rio Atrato im Chocó Department. Und hier ist sie wieder die blumige und etwas verträumte und ebenso etwas mystische Sprache der Lateinamerikaner. Lorena Salazar hat mit ihrem Roman in Kolumbien viel Aufmerksamkeit erfahren und ich kann dies nachvollziehen nach der Lektüre dieses wunderbaren Buches. Denn da ist eine ganz eigene Kraft, ein ganz besonderer Lesesog. Eine Mutter besteigt mit ihrem Sohn als Ich-Erzählerin ein Kanu, sie wollen auf dem Rio Atrato reisen, zur leiblichen Mutter des Jungen. Diese hatte den Jungen als Baby der Ziehmutter überlassen, weil sie ihn nicht versorgen konnte, jetzt möchte sie ihn sehen. Das ruft natürlich Ängste bei der Ziehmutter hervor, sie fühlt sich als Mutter des Jungen und hat Angst ihn zu verlieren. Aber nicht nur die Mutterschaft ist ein Thema. Die Mutter ist weiß und der Sohn ist Afrokolumbianer, das erzeugt Blicke, eine zerstörerische Aufmerksamkeit. Die Ich-Erzählerin ist sich ihrer Nichtzugehörigkeit zur afrokolumbianischen und indianischen Bevölkerung Kolumbiens bewusst, sollte in der Schule, im schulischen Theater den Part des weißen Eroberers übernehmen, was sie nicht wollte. Sie wollte eher der Mehrheit angehören, nicht marginalisiert sein, nicht weiß sein, nicht zu den Bösen gehören. Und dieses Denken in der Schulzeit ist immer noch bei der Ich-Erzählerin zu finden, sie bemerkt immer noch bei sich einen Mangel, ein Manko. Als ich im Netz gelesen hatte, dass der Autorin vorgeworfen wurde rassistisch zu sein, weil sie die schwarze Hautfarbe erwähnt und sehr in den Vordergrund stellt, war ich verblüfft und fragte mich, ob die Ankläger das Buch gelesen und auch verstanden haben. Auch wurde ihr vorgeworfen über etwas zu schreiben was sie nicht kennt, weil sie nicht im Chocó Department geboren wurde, sondern in Medellín. Aber ihre Mutter stammt aus dem Chocó Gebiet, von daher kennt sie vielleicht doch einiges und mal ganz ehrlich. Schreibt eigentlich jeder Autor von Dingen, die er kennt und müssen Autoren dies tun? Wäre da die literarische Welt nicht ärmer? Nun gut, zurück zum Thema, ich konnte die Gedanken der Ich-Erzählerin verstehen. Dazu sollte man auch wissen, im Chocó Department lebt eine Bevölkerung, die aus 82 % Afrokolumbianern, 13 % Indianern und 5 % Weißen besteht. Das Ende ist dann einerseits interessant, wenn man das Miteinander von Mutter, Ziehmutter und Sohn betrachtet und andererseits wieder absolut schockierend, aber im Titel des Buches ist das Wort Wunde enthalten, dass ich immer als Wunder lesen wollte und gelesen habe und diese Wunde offenbart sich am Ende. Und damit ist in diesem Buch auch noch eine weitere Gesellschaftskritik enthalten. Und das ganze Buch hat diesen wunderschönen lyrisch-poetischen Klang, der die der Autorin zuteil gewordene Aufmerksamkeit in meinen Augen vollkommen rechtfertigt.

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