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anne_hahn

Posted on 9.5.2022

Knapp dreihundert Seiten, ein dreißigseitiges Vorwort der Ethnologin Bettina Neer und ein Dutzend Abbildungen und Karten - das ist die Neuauflage des 1981 in der Syndikat AuVG erschienen Buches über die Hamburger Südsee-Expedition des Ethnologen Hans Fischer. Warum sollte man das lesen? Ich bin auf das Buch aufmerksam geworden, weil ich bei eigenen Recherchen zur ehemals deutschen Kolonie in der Südsee auf Pohnpei (bis 1984 Ponape) gestoßen war - und die dortige mystische Ruinenstadt Nan Madol. Ein Mitglied der Südsee-Expedition, Paul Hambruch, erforschte die Insel 1909/1910 einige Monate lang, sammelte Artefakte, Märchen und Sagen und erstellte bis heute maßgebliche Karten und Zeichnungen. Nach seiner Rückkehr brachte er die Memoiren James O'Connells heraus, eines Matrosen, welcher nach einem Schiffbruch 1828 mit einem anderen Matrosen auf der Südseeinsel Ponape fünf Jahre lang gelebt hatte, bis ein zufällig passierendes Schiff die beiden mit nach China nahm und O'Connell 1835 schließlich in Amerika landete. Dort trat er einige Jahre als „der tätowierte Mann“ in Zirkus-Sideshows auf, danach verliert sich seine Spur, nicht ohne diese Memoiren hinterlassen zu haben. Ich habe das Buch "elf Jahre in Australien und auf der Insel Ponape" vor einigen Jahren gefunden und verschlungen, und bin danach auf Spuren des leider früh verstorbenen Hambruchs in seinen Publikationen nach Pohnpei gereist... Zurück zum vorliegenden Taschenbuch - es ist so aktuell wie lesenwert, weil es in schnörkellos frischer Sprache auf die Missstände des Faches und der historischen Situation hinweist. Anhand der dreißig Bände, die in den Jahren nach den beiden Expeditions-Teilen (Melanesien und Mikronesien) veröffentlicht wurden, schreibt Hans Fischer vergleichende Resümees. Das beginnt bei der Antragsbegründung für die (luxuriöse) Ausstattung der Fahrten durch den ersten Direktor des Hamburgischen Museums für Völkerkunde Georg Thilenius bis hin zu den Tagebucheinträgen jedes einzelnen Expeditions-Mitglieds. Waren sich die Teilnehmer ihrer kolonialen Rolle bewusst? Wie behandelten sie die Menschen der ersten Nation, wie ihre Diener und Soldaten? Wie "sammelten" sie ihre Forschungsobjekte? Waren sie wirklich verwundert, dass die Menschen aus ihren Dörfern vor ihnen flüchteten und es nicht klaglos hinnahmen, dass die Forscher in den menschenleeren Dörfern Kultgegenstände gegen Tabak "tauschten", also einfach mitnahmen? Bettina Beer schließt ihr Vorwort mit der Bemerkung, dass Fischers Fallstudie ein scharfes Bild "der Dilemmata ethnologischer Forschung" biete und seine Fragen auch für ihre Forschung allgegenwärtig seien: wer finanziert die Forschung, wer steht dahinter, wer hat welche Interessen daran und welche Rolle spielen die Wissenschaftler? Sie kommt zu dem Schluss: "Kultur- und Sozialanthropologinnen führen die akademische Auseinandersetzung um koloniale, globale und nationale Geschichte sowie die empirische Arbeit in einem heute wie damals asymmetrischen Machtgefüge kapitalitischer Interessen und politischer Konflikte fort."

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