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gwyn

Posted on 5.5.2022

Prolog: «Im Jahr 1634 war die Vereinigte Niederländische Ostindien-Kompanie die wohlhabendste Handelsgesellschaft auf dem gesamten Globus, mit Außenposten, die sich über ganz Asien und das afrikanische Kap verteilten. Der profitabelste dieser Außenposten war Batavia. Von dort aus wurden an Bord der zur Kompanie gehörigen Flotte aus Ostindienfahrern Muskatblüten, Pfeffer, zahlreiche andere Gewürze und Seidenstoffe nach Amsterdam verschifft. Die Fahrt dauerte acht Monate und war äußerst gefährlich. Weite Teile der Weltmeere waren noch nicht kartographiert, und man verfügte nur über die primitivsten Navigationshilfen.» Ein Buch hochgelobt von allen Seiten, mit dem ich so gar nichts anfangen konnte. Ich liebe Genremix, aber Niveau ist für mich vorausgesetzt. Was ist das für ein Roman? Ein Krimi, Detektivroman? – auf jeden Fall. Historisch? Nur die Infos im Prolog. Mystisch, Schauergeschichte? Ein wenig. Ein Abenteuerroman? Möchte er gerne sein. Eine Geschichte, die auf einem Schiff spielt, Stürme inklusive, sollte atmosphärisch etwas Maritimes hergeben – sollte. Von vorn. Gleich auf den ersten Seiten verdarb mir der Schreibstil die Laune. Pathetisch, aufgeblasen, wie ein Käseigel mit Adjektiven bespickt, Metaphern, die von mir mit Augenrollen und Knurren begleitet wurden, machten das Lesen dieses einfachen Textes nicht zum Vergnügen. Ich wartete auf die spannenden Stellen – ab der Mitte habe ich nur noch quergelesen, Spannung kommt nicht auf. «Sie konnte die Blicke der Höflinge, Soldaten und Speichellecker spüren und ging wie eine zum Tode Verurteilte: mit geraden Schultern, gesenkten Augen und geballten Fäusten. Die Schamröte war ihr ins Gesicht gestiegen, auch wenn die meisten das irrtümlich für eine Folge der Hitze hielten. ... Das abscheuliche Pferd ihres Gatten schnaubte und stampfte wütend mit den Hufen ... Im Gegensatz zu ihr selbst schien es das Tier zu genießen, von ihm bestiegen zu werden.» 1634, ein Schiff, die Saardam, auf dem Weg von Batavia, Indonesien, nach Amsterdam; eine Reise, die die acht Monate dauern wird. Bevor das Schiff ablegt, verflucht ein zungenloser Aussätziger das Schiff und geht danach in Flammen auf. Der Detektiv Samuel Pipps wird gleich zu Beginn unter Deck in Ketten gelegt; er ist auf dem Weg zu seiner Hinrichtung, und das, wo er gerade der Ostindiengesellschaft ihren Schatz zurückbringen konnte. Sein Assistent Arent Hayes befindet sich an Bord, er hat eine fast verwandtschaftliche Beziehung zum Kapitän, kann ihm auf diese Weise ein wenig Erleichterung verschaffen. Mit an Bord Generalgouverneur Jan Haan und seine Frau Sara Wessel, seine Tochter und die Witwe Creesjie mit ihren Kindern, die glaubt, der «Alter Tom» habe ihren Mann getötet, sei nun hinter ihr her. Haan, der als Leibwache kampferprobte Musketiere an Bord hat, wird nach seiner Ankunft in Amsterdam einer der mächtigen «Siebzehn Herren» werden, die das Direktorium der Ostindiengesellschaft bilden. Doch bald wird es für die Passagiere zur Gewissheit: der Teufel sei höchstpersönlich an Bord, der Dämon «Alter Tom». Auf den Segeln ist plötzlich sein Zeichen zu sehen: das Auge mit Teufelsschwanz. Unerklärliche Morde geschehen, und ein Flüstern bringt die Menschen dazu, ihren dunkelsten Wünschen nachzugeben, was Turbulenzen an Bord erzeugt. Pipps und Arent versuchen, das Rätsel zu lösen, auf welche Weise die Menschen an Bord miteinander verbunden sind und warum der «Alte Tom» hier sein Unwesen treibt. «Ihre dunklen Haare flossen an ihrem Arm herunter wie schwarzes Wasser.» Das alles wird aufgebauscht und langatmig erzählt, hätte unter 200 Seiten vielleicht etwas Spannung erzeugen können. Hier versucht ein Autor, nach dem Vorbild von Sherlock Holmes und Doktor Watson eine Detektivgeschichte zu entwickeln – der Versuch ist kläglich. Seegarn, ein wenig Fluch der Karibik eingebunden, machen den Plot auch nicht besser. Die Figuren sind oberflächlich und voller Klischees, überall in der Weltliteratur ein wenig abgekupfert, aber eben literarisch und in der Figurentiefe nicht erfasst. Es gibt keine Entwicklung der Figuren, sondern ein platter Lebenslauf soll erklären, warum einer ist, wie er ist. Ein geübter Leser weiß lange vorher, wie eine ausgewalzte Szene ausgehen mag. Fazit: Überzeichnete Charaktere und eine Räuberpistole als Plot, einige Logikfehler, unglaubwürdig und langweilig bis in die Zehenspitzen. Stuart Turton ist freiberuflicher Reisejournalist. Sein Debüt »Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle« war ein überwältigender Publikumserfolg in Großbritannien und wurde u. a. mit dem Costa First Novel Award 2018 ausgezeichnet. Das Buch erscheint in 25 Ländern. Stuart Turton lebt mit seiner Frau und seiner Tochter in London.

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