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gwyn

Posted on 3.5.2022

«Einst war ich frei wie der Wind, jetzt ergebe ich mich und das ist alles.» (Gerónimo; Gokhlayeh oder Goyathlay, Schamane der Chiricahua-Apachen) Bereits in meiner Kindheit hat mich das Thema gepackt, ich weiß nicht wie oft ich die Tecumseh-Bände gelesen haben. Für Karl May, US-Western und ähnlichen Unsinn hatte ich nach diesen Büchern nichts übrig. Und im Laufe meiner Lesezeit bin ich einigen Büchern und Filmen begegnet, die sich dem Thema der Ureinwohner Amerikas auf realistische Weise nähern. Vielseitige Völker, verschiedene Arten zu leben und auch die Art untereinander Krieg zu führen. Dieser Roman widmet sich sehr intensiv den Apachen. Wo soll man mit diesem hochkomplexen Werk anfangen? «Wir waren einfach nur Menschen und eines Tages machte uns jemand zu Mexikanern, Koreanern, Zulu. Zu Menschen, die man rasch in eine Schublade stecken muss, um sie nach Möglichkeit auszurotten oder ihnen, falls das nicht geht, eine Sprache aufzuzwingen, Grammatik beizubringen und Schuhe zugeben, um ihnen welche verkaufen zu können, wenn sie das Barfußlaufen nicht mehr gewöhnt sind.» Álvaro Enrigue, in Guadalajara, Mexiko geboren, lebt und arbeitet in New York, beschreibt in seinen Roman eine eigene Reise durch die Zeit. Er hat sich intensiv mit der Geschichte der Apachen und deren Völkermord beschäftigt und begab sich 2017 mit seiner Familie auf eine Reise zu den historischen Schauplätzen im Grenzgebiet zwischen der USA und Mexiko. Sie besuchten die Gräber von Naiche und Gerónimo. Recherchen und Gedanken fließen ein und so ganz nebenbei blättert sich neben der Geschichte der Apachen auch die der USA und Mexiko auf, die mit der der Apachen, die sich Ndee (Mensch) nannten, eng verflochten ist. Feinde, die sich ständig bekämpfen, sich gegen den anderen zusammenschließen, Grenzverschiebungen zwischen den USA und den Mexikanern, mitten drin die Gran Apachería, das Reich der Apachen, das ab Mitte des 18. Jahrhunderts eine riesige Landfläche im Osten und Süden von Arizona, große Teile New Mexicos, den Süden Colorados, den Westen und Südwesten von Texas sowie große Areale der angrenzenden Bundesstaaten Sonora, Chihuahua, Coahuila, Nuevo León und Tamaulipas im Norden Mexikos umfasste. Die Stämme wurden immer weiter dezimiert und in unfruchtbare Gebiete zurückgedrängt, was ihrerseits zu Überfällen auf Siedler führte. 1835 führten die mexikanischen Staaten Sonora und Chihuahua Prämien auf Apachen-Skalpe ein, wieder einmal. Die Apachen unterzeichneten immer wieder Verträge, kämpfen mal für die eine, mal für die andere Seite, wurden aber immer wieder betrogen. «Das Gebiet war so undurchdringlich und die Ndee so unbestechlich sie selbst, dass die Spanier, nicht einmal Missionare zurückließen. ... müssen die Apachen wie ein eigenes Ökosystem vorgekommen sein: Vettern des Bären, Dornenesser. Auch das waren sie und es machte den Priestern Angst.» Der Roman beginnt mit einem fiktiven Strang. 1836 wird in dem mexikanischen Ort Janos die Mexikanerin Camila Ezgurra von Apachen bei einem Überfall mit Viehdiebstahl verschleppt – ihre Familie wird massakriert, die Ranch in Flammen gesetzt. Sie wird brutal behandelt und bekommt die Möglichkeit, Suizid zu begehen. Doch sie beißt sich durch, schafft sich so Respekt. Dieser Strang beschreibt detailliert das harte Leben der Apachen, ihre Zähigkeit, in der kargen Natur zu überleben, zeigt ihre Anpassungsfähigkeit und ihren Mut. Letztendlich eine Studie, die sich die sich in die Erzählung einpasst. Im dritten Strang erhält eine Weile später Leutnants José Maria Zuloaga den Auftrag, einen Suchtrupp zusammenzustellen und die Frau zurückzubringen. Nicht gerade ein Job, um den man sich reißt, und so muss er nehmen, was sich bietet: die Nonne Elvira, eine Scharfschützin; die Yaqui-Zwillinge, die seit Jahren im Gefängnis hocken, ihre Freiheit erhalten, wenn sie mitreiten; ein verkrachter Tanzlehrer; ein junger Rarámuri-Indio und ein Apache der als Fährtenleser zugeteilt wird. Diese beiden Stränge zeigen das harte Leben dieser Zeit, es gibt feine Naturbeschreibungen und ein Gefühl für diese blutige Zeit und ihre Auseinandersetzungen. Gerónimo (1829–1909), der mit richtigem Namen Gokhlayeh oder Goyathlay, hieß, war der legendäre Schamane und Anführer der Chiricahua-Apachen. Er führte mit den Mexikanern Krieg, fügte ihnen viel Schaden zu, weil sie seine Mutter, Frau und Kinder 1858 in Chihuahua ermordet hatten. Später kämpfte er für die US-Truppen gegen die Mexikaner. 1877 wurde Frieden geschlossen und Gerónimo erklärte sich bereit, sich mit seinem Clan in einem Reservat anzusiedeln. Man gab ihnen Land in der Wüste, wo kein Halm wuchs, kein Tier, kein Mensch überleben konnte. Verständlicherweise büchste der Stamm aus, zog sich in die Sierra Madre zurück, begann wieder mit den Überfällen. Die Soldaten kesselten die Apachen immer weiter ein, doch meistens entwischten sie geschickt. 1886 stellte sich Gerónimo, der müde war und keinen Ausweg mehr sah: «Jetzt ergebe ich mich, und das ist alles». Die Apachen wurden wieder unwürdig eingesperrt, Gerónimo demütigte man, stellt ihn zur Schau. Es gibt ein Gerücht, wonach der Großvater von G.W. Bush und Mitstudenten das Grab geschändet haben sollen. Und dieses Buch handelt auch von diesem großen Krieger. Es ist ein hochkomplexer Roman, der verschiedene Sichten vereint, Die der Apachen, die der Verfolger, der Erzähler selbst auf Entdeckungsreise, der Historiker; ebenso schafft es Álvaro Enrigue, jeweils den sprachlichen Stil anzupassen. Meine Hochachtung! Mir hat der Roman gefallen, aber es ist sicher keine leichte Kost, ein Roman für jedermann. Álvaro Enrigue, geboren 1969 in Guadalajara, studierte in Mexico City Kommunikationswissenschaften, lehrte anschließend Literatur des 20. Jahrhunderts und promovierte an der University of Maryland. Seit seinem 1996 erschienen Debüt »La muerte de un instalador« gehört er zu den wichtigsten iberoamerikanischen Gegenwartsautoren und gilt als der bedeutendste mexikanische Autor seiner Generation. Seine Werke sind preisgekrönt und wurden in viele Sprachen übersetzt. »Aufschlag Caravaggio« (Blessing, 2015), war der erste Roman des Autors, der auf Deutsch erschienen ist. Álvaro Enrigue lebt in New York.

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