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Der Anfang: «In zwei Minuten sind wir live!›, ruft der Aufnahmeleiter durch das Nachrichtenstudio. Die Kameramänner setzen ihre Kopfhörer auf. ‹Wo ist Toms Cola? Und Sabine mit der Krawatte?› Anchorman Tom Monderath nimmt hinter seinem Moderationspult Platz. ‹Wir sind noch am Innenminister dran – eventuell haben wir eine Liveschalte, die du spontan anmoderierst. Ich geb’s dir dann aufs Ohr›, sagt die Regisseurin über den Studiolautsprecher.» Dieser historische Roman, der sich auf zwei Zeitebenen bewegt – vom Beginn des Zweiten Weltkriegs bis in die Nachkriegszeit handelt der große Stang – passt perfekt in die heutige Zeit, zum Ukrainekrieg. Verblendung, Desinformation, Indoktrinierung eines Volkes durch Staatspropaganda; Krieg, Flüchtlingsdrama und ein Neuanfang in der Fremde sind die Themen. Eine dramatische Liebesbeziehung kommt dazu. Ein bewegendes Buch, fern von jedem Kitsch. Der bekannte Kölner Nachrichtenmoderator Tom Monderath macht sich Sorgen um seine 84-jährige Mutter Greta. Sie wird desorientiert aufgegriffen und er fährt sofort ins Krankenhaus. Demenzzustand, erklärt der Arzt. Wahrscheinlich Alzheimer. Greta ist bereits wieder wohlauf, fühlt sich kerngesund. Tom ist beruhigt, denn er hat keine Zeit, um sich um seine Mutter zu kümmern, die allein in einer großen Wohnung lebt. Eine Nachbarin steht ihr beiseite. Doch Gretas Ausfälle treten immer öfter auf. Sie kauft zum Beispiel einen plattgedrückten roten Sportflitzer mit ordentlich PS. Als der angeliefert wird, kann sie sich nicht erinnern, freut sich aber und will gleich eine Spritztour starten. Natürlich kommt sie mit dem Wagen nicht klar; es wird gefährlich. Tom nimmt der Fünfundachzigjährigen den Schlüssel ab, will den Wagen zurückgeben. Greta ist voll geschäftsfähig. An dem Vertrag gibt es nichts zu rütteln ... «Eben noch hatte sie im Klassenzimmer gesessen und in Sütterlinschrift Freitag, der 1. September 1939 auf ihre Schiefertafel geschrieben, als die Tür des Klassenzimmers aufgerissen worden war und ein Junge aus der sechsten Klasse gesagt hatte, dass alle Schüler sich auf Befehl des Rektors sofort auf dem Schulhof aufzustellen hätten. Und nun stand sie zusammen mit all den anderen Kindern der ostpreußischen Volksschule in Reih und Glied – die Knaben rechts, die Mädchen links – auf dem Hof und lauschte dem Rektor, der nach dieser großen Ankündigung nun mit bebender Stimme fortfuhr: ‹Kinder, heute wird Geschichte geschrieben! Dies ist ein Tag, den ihr euer ganzes Leben nicht vergessen werdet. Der Führer hat erklärt, dass seit 5:45 Uhr auf Polen zurückgeschossen wird. Von jetzt an wird Bombe mit Bombe vergolten!» Parallel erinnert sich Greta, genannt Gretchen, sich an ihr Leben. Sie ist in Ostpreußen geboren und ihre Eltern, ihre große Schwester, sind glühende Hitlerverehrer. Opa ist nicht begeistert vom Führer. Vom Krieg schon gar nicht, denn er hat im Ersten Weltkrieg als Soldat ein Bein verloren. Greta ist acht Jahre alt, als der Krieg beginnt. Neidisch blickt sie auf ihre etwas ältere Schwester, die sich beim BDM engagiert. Sie freut sich darauf, in die Jugendorganisation aufgenommen zu werden, in der so viele Sachen angeboten werden. Der Vater meldet sich freiwillig als Soldat. Die Familie ist stolz – bis auf Opa und Oma. Der Vater, an der Westfront, führt regen Briefverkehr mit Greta. Dann kommt er kurz nach Hause und wird an die Ostfront versetzt. Der Briefkontakt bricht ab. Durchhalteparolen und Verherrlichung der Siegeszüge klingen durch die Staatssender. Alles ist prima, der Sieg steht kurz bevor. Opa hört heimlich ausländische Sender im Radio. Eines Tages muss die Familie Hals über Kopf aufbrechen, das Heim verlassen. Hastig werden wichtige Dinge in Koffer gestopft. Greta ist traurig, das Bild von Hitler passt nicht in ihren Koffer; zu groß. Eine Flucht bei minus 20 Grad und mit einem Handwagen folgt. Die Familie ist auf dem Weg nach Westen, nach Heidelberg. Denn dort ist die Großmutter geboren, dort gibt es Verwandte. Die Flucht ist beschwerlich und gefährlich und die Familie wird getrennt. Opa landet mit Greta in München, wird bei einer Familie einquartiert, die ihnen nicht freundlich gesonnen ist. Nach kurzer Zeit entschließen sie sich, weiter nach Heidelberg zu gehen. Hier kommt die Familie wieder zusammen. Aber es gibt einen Stopp für die Aufnahme von Flüchtlingen. Oma setzt sich durch. Natürlich gibt es auch keine Wohnung. Die Villa von Omas Schwester ist durch amerikanische Soldaten besetzt, sie haben selbst nur ein Zimmer zur Verfügung. Doch im Garten steht das alte Bienenhaus, ein Holzschuppen. Opa organisiert sich Werkzeug und legt los. Leben am Rande des Existenzminimums, kleine Jobs erhaschen, Organisieren, Schwarzmarkt, Verhaftungen von ehemaligen Nazis, amerikanische Soldaten, Partys in US-Clubs. Der Vater ist weiterhin vermisst, anscheinend in russischer Gefangenschaft. Vielleicht ist er aber auch tot. Gretchen und ihre Schwester sind nun junge Frauen, wollen endlich wieder leben, den Krieg vergessen ... «Stets dachte er, es sei seine Schuld, wenn seine Mam wieder tagelang im abgedunkelten Schlafzimmer verschwand. Ihre Stimmungsschwankungen bestimmten sein Leben. Über Jahre fühlte er sich verunsichert und hilflos, weil sie in diesen Phasen nicht auf ihn reagierte.» Tom und seine Mutter waren nie stark verbunden. Sie hatte oft den Blues und hielt sich während seiner Kindheit monatelang in Sanatorien auf. Nun muss er sich um seine Mutter kümmern – obwohl er selbst in der Krise steckt, unter hoher beruflicher Belastung. Ein Typ, der sich gern auf die Arbeit von anderen verlässt, arrogant mit seinem Team umgeht. Beziehungsunfähig, immer dem Rausch des Lebens folgend und auf großem Fuß lebend, fällt ihm erst gar nicht auf, dass seine Karriere sich in der Abwärtsspirale befindet. Junge Kollegen rücken nach. Den Stress mit der Mutter kann er so gar nicht gebrauchen. Abgeben an Mutters Nachbarin. Doch irgendwann muss Tom sich stellen, da Greta langsam aus der Kontrolle gerät. Tom erinnert sich: über die Zeit in Heidelberg hat seine Mutter nie viel geredet, auch nicht über die Vertreibung, den Krieg – sie wollte vergessen. Neugierig schaut er sich in der Wohnung seiner Mutter um. Er findet eine schwarze Puppe. Warum hat sie die aufgehoben? «Also, warum sollen wir dann nicht zusammen sein? Wenn ich erst einmal volljährig bin...› ‹In my America es is forbidden, zu haben ein weiße Frau›, unterbrach er sie. ‹Aber in meinem Deutschland nicht! Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.» Der Titel dieses Romans bezieht sich auf das Fraternisierungsverbot für in Deutschland stationierte Soldaten, das die militärische Führung der US-Streitkräfte nach dem Zweiten Weltkrieg aussprach. «Stay away from Gretchen», war auf die erste Seite des amerikanisch-deutschen Wörterbuches gedruckt, das die GI‘s erhielten. Haltet euch von deutschen Frauen fern! Sie haben Geschlechtskrankheiten und wollen euch begarnen. Viele Frauen, die von Amerikanern Kinder bekamen, hat man allein gelassen. Das US-Militär befahl den betreffenden GI dass sie «incommunicado» zu den Frauen bleiben müssen. Kein Kontakt! Niemals! Gleichzeitig erfolgte eine Zwangsversetzung in die USA oder sonst wohin. Davon erfuhren die Frauen nichts, fühlten sich sitzengelassen. Die deutschen Behörden bestraften zusätzlich diese Mütter. Denn ledige Frauen wurden damals vom Jugendamt dranglisiert, das automatisch die Vormundschaft für das Kind per Gesetz übernahm. Frauen, die Kinder mit anderen Nationalitäten hatten, stand kein Sorgerecht zu. Oft wurden die Kinder in anonymer Zwangsadoption ins Ausland vergeben. Dazu kam, dass die Mutter meist nicht wusste, wie sie sich und das Kind ernähren sollte, bzw. das Jugendamt nahm dies an und ihr das Kind weg. Chance hatte nur jemand, dessen gesamte Familie für das Kind einstand. Besonders schwer hatten es die Frauen mit den «brown babies», die einen besonderen Status hatten. Sie wurden als «Negernutten» beschimpft. Auch wichtig in diesem Zusammenhang: Zu der Zeit gab es noch Rassentrennung innerhalb der US-Army. Sogar die Clubs der weißen Soldaten durften die Schwarzen nicht besuchen, hatten eigene Bars. Susanne Abel setzt historische Daten und Fakten gut recherchiert in diesem Drama ein. So könnte es gewesen sein. Der historische Strang hat mir gefallen, da er zeigt, wie junge Menschen instrumentalisiert werden, die Bevölkerung per Staatspropaganda belogen wird. Die Flucht drastisch, aber nicht ins Detail gehend, wird glaubwürdig dargestellt, der Focus liegt auf der Nachkriegszeit, die für mich authentisch geschildert ist. Von mir aus hätte der gesamte Strang Tom – der Sohn aus der heutigen Zeit – wegfallen können. Eine klischeehafte Figur; ein selbstverliebter Gockel aus der Medienlandschaft, stinkreich, der auf alle anderen Teammitglieder im Sender herabblickt. Auch wenn sich eine kleine Wendung in seinem Verhalten vollzieht, macht es den Charakter nicht besser. Die stereotype Figur benötigt der Roman eigentlich nur, um die Hilflosigkeit von Kindern darzustellen, die sich mit der Demenz der Eltern auseinandersetzen müssen. Es gab genug wichtige Themen in diesem historischen Roman, das hätte es nicht gebraucht. Für mich war die Figur Tom eher nervig und störend. Aber trotzdem, es ist ein berührender Roman, den ich unbedingt empfehlen mag. Susanne Abel stammt aus einem badischen Dorf an der französischen Grenze, arbeitete bereits mit 17 Jahren als Erziehungshelferin und später als Erzieherin. Nach einer Ausbildung zur Puppenspielerin landete sie über den Weg des Theaters beim Fernsehen. Sie schloss ein Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin ab und realisiert seither als Autorin und Regisseurin zahlreiche Dokumentationen fürs Fernsehen. Die Autorin lebt und arbeitet in Köln.