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Der Anfang: «Den Stiel meines nagelneuen Hexenbesens fest im Griff, sause ich Dad hinterher und wirbele im Flug Blätter auf. Bei mir zu Hause glänzt jeden Morgen Frost am Boden und das Laub der Alleen erstrahlt immer in den buntesten Farben. Die Kürbisse sind dick und rund und die Luft duftet verheißungsvoll, denn in Hallowstone ist das ganze Jahr hindurch Herbst. Der erste Biss in einen extraknackigen Apfel, das Fauchen einer schwarzen Katze, das fein verästelte, silbrig-spinnenartige Netz des magischen Schutzwalls rund um Hallowstone – all das macht meine Heimatstadt zu meiner Heimatstadt und am allerschönsten ist sie am frühen Morgen. Besonders wenn Besuchstag ist.» Hexen wohnen in Hallowstone und Werwölfe in den Mondbergen, so war es schon immer – zumindest für Prue. Denn vermischen sich ihre Magien, wird es gefährlich. Das weiß jedes Hexenkind. Da ist es schon merkwürdig, dass sie mit ihrem Vater in Hallowstone bei den Hexen wohnt, ihre Mutter, eine Werwölfin, mit ihrem Bruder, auch ein Wolf, auf der anderen Seite leben. Die Familie sieht sich nur ganz selten, denn dazu muss ein Schutzzauber um Prue und Pa gelegt werden. So an Prues zehnten Geburtstag. Dad hat ihr einen nagelneuen Hexenbesen geschenkt, das allerflotteste Ding, das es derzeit zu kaufen gibt. Und von Ma hat sie einen selbstgeschnitzten Wolf erhalten, der in der Hand etwas Magisches ausstrahlt. Wieder zu Hause angelangt vermisst sie den anderen Teil der Familie so sehr, dass sie sich um Mitternacht an die Grenze der Stadt begibt und aus Versehen den neuen Wunschzauber spricht, den sie gerade in der Schule gelernt hat. Der Wall des Schutzzaubers, der Hallowstone umgibt, bricht, der Hexen, Vampire und Elfen vor den Schattenwesen beschützt. Die Mitternachtsstadt, die in der Mitte des dunklen Reichs der Schatten liegt, ist geöffnet und Werwölfe stürmen herein. Zusammen mit ihren Freunden – zwei Hexen, einem Werwolf und einem Vampir – will Prue nun die Mitternachtsstadt retten. Wieso kennen sich eigentlich ihre Eltern, haben zwei Kinder zusammen, wenn Werwölfe und Hexen in verschiedenen Welten wohnen, sich eigentlich gar nicht über den Weg laufen können? Und wieso wohnen in Hallowstone keine Wetterhexen? Irgendwas ist faul an der Sache. Haben die Erwachsenen die Kinder ihr ganzes Leben lang angelogen? Prue und ihre Freunde gehen dem Geheimnis auf den Grund. Und das hat viel mehr mit ihr selbst zu tun, als sie sich vorstellen mag. Eine abenteuerliche Suche beginnt. Trisha Kelly hat sehr fantasievoll eine eigene Welt beschrieben, mit viel Liebe zum Detail. Das liest sich erfrischend. Thema ist hier durchgängig Ausgrenzung und Toleranz. Warum will eine Gruppe nicht mit der anderen leben? Auch Diversität und Vielfalt stehen im Mittelpunkt. Der einzige Vampir, den keiner will, ein Mädchen, dass sich in ein anderes verliebt und ein Wesen, das sich selbst als «sier» bezeichnet, das weder Mann noch Frau ist, sondern irgendwas in der Mitte. Atmosphärisch gestaltet, witzig, mit spannenden Phasen liest sich das Buch aus der Hexenküche unterhaltsam. Freundschaft, Liebe, Mut, Zusammenhalt und Familie stehen im Mittelpunkt. Mir fehlte der richtige Spannungsfaktor des Mitzitterns. Leider gelingt das nur wenigen Autor*innen, im Fantasybereich der Kinder- und Jugendliteratur. Ein Kinderbuch für die gemäßigte Fraktion, denen es in anderen Büchern zu gruselig ist. Verena Körting hat für die grafischen Vignetten in den Ecken der Seiten gesorgt, kleine, gelungene Bleistiftzeichnungen in schwarzweiß. Der Arena Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 10 Jahren. Das passt. Trisha Kelly hat sich vollkommen der Welt der Bücher verschrieben. Sie absolvierte ein Studium der Filmwissenschaft und arbeitet seitdem als Lektorin und Autorin für Kinder- und Erwachsenenbücher. Wenn sie nicht gerade liest, schreibt oder kocht, kümmert sie sich am liebsten um ihr Rudel Hunde. Sie lebt und arbeitet in New York.