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sursulapitschi

Posted on 28.4.2022

Selten habe ich ein gutes Buch so ungern gelesen. Es geht einem unter die Haut, aber man muss schon knapp 300 Seiten plastische Selbstzweifel aushalten können. In einem endlosen inneren Monolog erzählt eine Frau schonungslos von ihrem Leben und ihren Problemen. Rachel Cameron ist Lehrerin in einer kanadischen Kleinstadt, über 30, ledig, zu groß, zu dünn, zu unscheinbar, ein Mauerblümchen ohne Perspektive in den 60er Jahren. Sie ist voller Komplexe und Selbstzweifel und ihre Mutter, mit der sie zusammenlebt, tut ihr Bestes, um diesen Zustand zu erhalten. Sie beherrscht es perfekt, ihre Gesundheit ins Spiel zu bringen, wenn Rachel eigene Pläne hat und sie immer wieder moralisch unter Druck zu setzen. Als sich dann doch ein Mann für Rachel zu interessieren scheint, geraten die eingefahrenen Routinen in Bewegung. Margaret Laurence schreibt eindringlich, man schlüpft hinein in Rachels Kopf und fühlt mit, hadert mit, zweifelt und verzweifelt, erinnert sich, schämt sich, ein Gedankenkarussell, das sich ohne Pause dreht und dreht. Das ist mitreißend und erstaunlich, aber auch wirklich qualvoll. Ich musste das Buch oft beiseitelegen. Dieses Buch zeigt den inneren Kampf einer Frau, die sich mit ihrem vorgezeichneten Schicksal nicht abfinden will, dazu aber eigene Hemmungen und herrschende Konventionen überwinden muss. Es ist nicht leicht, zu tun, was man nicht tut, schon gar nicht in den 60er Jahren, und wenn man dann noch Mutters Herz berücksichtigen muss, hat man kaum noch eine Chance. Es wurde 1966 geschrieben, wirkt aber weder antiquiert noch überholt, ist damals wie heute ein aufwühlendes Erlebnis.

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