Sofia :)
Vielen lieben Dank an den penhaligon-Verlag und das Penguin Random House-Bloggerportal für das Rezensionsexemplar! Meine Rezension spiegelt selbstverständlich trotzdem meine ehrliche Meinung wider. Aufmachung: Wie auch schon in meiner Rezension zu „Die Chroniken der Meerjungfrau“ geschrieben, ist die Aufmachung dieser Reihe wirklich ein Hingucker. Zum einen, weil man auf den ersten Blick erkennt, um welches Märchen es jeweils geht, das Cover weist tolle Details auf, der Schnitt ist ein Hingucker und die Farbgebung passt zum Märchen. Zum anderen aber auch, weil die einzelnen Teile der Reihe – trotz der vielen verschiedenen Farben – wunderbar miteinander harmonieren; man sieht auf Anhieb, dass die Bücher zusammengehören, kann aber auch direkt erkennen, dass sie in sich abgeschlossene Geschichten bilden. Insgesamt finde ich den Preis von 18 € nach wie vor für dieses Hardcover im Taschenbuch-Format einen stolzen Preis, der aber immerhin insofern gerechtfertigt ist, als dass man hier etwas fürs Auge bekommt. Meine Meinung: An „Die Chroniken der Meerjungfrau“ habe ich vor einem halben Jahr hauptsächlich bemängelt, dass es mir nicht spannend und düster genug war. Aus diesem Grund habe ich meine Erwartungen an „Die Chroniken von Rotkäppchen“ etwas heruntergeschraubt; der Klappentext klingt zwar ähnlich dramatisch wie der der Meerjungfrau, aber ich wollte nicht wieder davon enttäuscht werden, dass sich das Buch als nicht so gruselig herausstellt, wie es angepriesen wird. Wäre gar nicht nötig gewesen! In „Die Chroniken von Rotkäppchen“ ist eine Pandemie für den Tod Hunderttausender und den Untergang der Zivilisation verantwortlich – das klingt angesichts der Corona-Pandemie natürlich erstmal bestenfalls wie ein schlechter Witz, schlechtestenfalls wie Schwurbelei. Tatsächlich rufen viele Situationen beim Lesen ein Deja-Vu-Gefühl hervor; einiges, wovon die Autorin hier im fiktiven Rahmen schreibt, ist tatsächlich so oder so ähnlich (weniger dramatisch, aber zumindest in vergleichbarer Weise) so aufgetreten. Das macht das Lesen mindestens komisch, an manchen Stellen aber durchaus auch sehr unangenehm. Lustigerweise ist das Buch im Original bereits 2019 erschienen – die Autorin kann die Corona-Pandemie also gar nicht zur Inspiration herangezogen haben. Sobald einem das bewusst wird, ist das Gelesene zum Teil sogar noch erschreckender; es ist ein bisschen so, als hätte die Autorin, als sie „Die Chroniken von Rotkäppchen“ geschrieben hat, in Teilen die Zukunft vorhergesagt. Im Großen und Ganzen ist die Grundstimmung des Buches also allein deshalb schon sehr düster. Man weiß zu Anfang noch nicht wirklich, was dazu geführt hat, dass Red alleine durch den Wald laufen muss, also warum sie ohne Begleitung ist oder weshalb sie überhaupt erst ihr Zuhause verlassen musste. Dies erfährt man erst nach und nach parallel zu dem, dessen Red sich im Wald stellen muss: Die Handlung wird im „Davor“ – also das, was passiert ist, bevor Red losgegangen ist – und dem „Danach“ – dort, wo die Geschichte einsetzt – erzählt. Dabei erschließt sich dem Leser nicht nur das Vergangene, sondern das Geschehene nimmt insgesamt erst Gestalt an, wenn man um Reds Erlebnisse sowohl im Davor als auch im Danach weiß. Auf den ersten Blick mag diese Handlungsaufteilung also zunächst verwirrend wirken, aber beim Lesen stellt sie sich als hervorragender Aufbau heraus, der die Spannung nur noch verstärkt und zu einigen Plottwists oder Aha-Momenten führt. Die Autorin verrät dabei gerade so viel, dass man nicht den Überblick oder die Geduld verliert; das hat sie ganz wunderbar hinbekommen. Quasi nebenbei lässt sie immer mal wieder subtil Hinweise auf das Märchen von Rotkäppchen fallen, wie bspw. die Männer, die durch den Wald streifen, und Red nichts Gutes wollen, und die sie „Wölfe“ nennen, oder eben das Offensichtlichste: Nämlich, dass Red auf dem Weg zu ihrer Großmutter ist. Darüber hinaus finden sich hier und da aber auch Anspielungen auf andere Märchen, so z. B. Hänsel und Gretel. All das passiert im Vorbeigehen, sodass es einem erst bei näherem Hinsehen auffällt. „‚Ich weiß. Es gibt eine Menge Ungeheuer da draußen, und alle sehen aus wie Menschen‘, antwortete Red.“ (S. 269) Inhaltlich fällt dabei vor allem anfangs und im Mittelteil auf, dass sich die Autorin sehr viel mit der Beschreibung eigentlich unwichtiger Details aufhält. Während mich so etwas in Büchern normalerweise schnell nervt, weil oftmals die Handlung darunter leidet, passt es hier aufgrund des eigenwilligen Schreibstils und der Eigenart der Protagonistin (dazu gleich) einfach ins Buch. Durch die durchweg düstere Grundstimmung kommt auch bei unwichtigen Beschreibungen an keinen Stellen Langeweile auf, vielmehr sorgen sie dafür, dass man noch angespannter ist, weil man die ganze Zeit damit rechnet, dass irgendetwas passiert. Einzig zum Ende hin fällt dieses Stilmittel der Autorin dann negativ auf, als große Probleme quasi mit Links gelöst werden und man über einen Zeitsprung ohne viel Aufhebens zum Ende kommt. So hatte ich z. B. noch ca. 50 Seiten zu lesen und habe mich dann gefragt, wie das alles, was eigentlich noch geklärt werden müsste, denn bitte dort unterkommen sollte. Von der Lösung der Autorin war ich dann eher enttäuscht – die Energie, die sie für die ganzen Beschreibungen aufgewandt hat, wäre an dieser Stelle für mein Empfinden besser aufgehoben. So stimmt das Verhältnis nicht ganz, sodass man, auch wenn man anfangs sehr begeistert ist, hintenraus etwas enttäuscht wird. Das bleibt jedoch mein einziger Kritikpunkt, der Rest des Buches hat mir super gefallen. Vor allem auch die Protagonistin Red, die als fast einzige relevante Figur in diesem Buch die Handlung wesentlich trägt, konnte mich überzeugen. Ihre Vorsicht und vielen Ängste – fast schon Paranoia – machen sie zu einer sehr eigenwilligen Protagonistin, an die man sich erstmal gewöhnen muss. Sie hat in ihrem Leben viele Horrorfilme gesehen und lässt sich davon leiten – das macht sie nicht etwa überängstlich oder nervig, sondern fast schon perfekt vorbereitet für eine Weltuntergangssituation. Gleichzeitig merkt man ihr an, wie verängstigt sie ist, da sie aller Filme zum Trotz natürlich genauso gut weiß, dass sie sich im Ernstfall kaum verteidigen kann, keine praktischen Überlebensfähigkeiten hat und auf ihr Glück und ihren Verstand angewiesen ist. Sie macht das beste aus ihrer Situation, trifft nichtsdestotrotz aber auch mal falsche Entscheidungen und kommt in Lagen, in denen sie sich nicht zu helfen weiß. Genau diese Menschlichkeit und dass sie so „normal“ ist, machen sie so sympathisch und sorgen dafür, dass man sich gut in sie hineinversetzen kann. Unterstrichen wird ihr Charakter vom Schreibstil, der, ähnlich wie Red, anfangs sehr gewöhnungsbedürftig ist. Man befindet sich praktisch in Reds Kopf und „hört“ ihre ungefilterten Gedanken so, wie sie ihr in den Sinn kommen. Das führt dazu, dass Henrys Stil zwischendurch etwas wirr und durcheinander wirkt, da teils Satzzeichen fehlen, Wörter oder Sätze mehrfach hintereinander oder im ganzen Buch wiederholt werden, oder manche Gedanken auch mal nicht zuende geführt oder von anderen Gedanken unterbrochen werden. Das klingt jetzt alles so, als könnte man der Autorin nur schwer folgen, was anfangs auch durchaus zutrifft. Sobald man sich aber erst einmal daran gewöhnt hat, sorgt dieser Stil nur dafür, dass man noch stärker ans Buch gefesselt ist als ohnehin schon, da man eben aus erster Hand miterlebt, wie es Red gerade geht. Fazit: „Die Chroniken von Rotkäppchen: Allein im tiefen, tiefen Wald“ ist nicht „gruselig“ im klassischen Sinne, aber die Grundstimmung ist durchweg bedrückend und unangenehm, man ist die ganze Zeit angespannt und kann sich nur schwer von den Seiten lösen. Die Autorin schreibt so, wie die Protagonistin denkt, was anfangs etwas gewöhnungsbedürftig ist, aber dann dafür sorgt, dass man sich umso besser in sie hineinversetzen kann. Das Ende ging mir allerdings dafür, dass zuvor jedes Detail beschrieben wurde, viel zu schnell. Da hätte ich es besser gefunden, wenn die Autorin das anders eingeteilt hätte, deshalb den halben Punkt Abzug. 4,5/5 Lesehasen.