Profilbild von mabuerele

mabuerele

Posted on 7.4.2022

„...Schon während der zweiten Strophe des schönen Eingangsliedes schweiften Pfarrer Untersehers Gedanken ab. Würde es ihm gelingen, seiner Gemeinde Mut zuzusprechen? Ein gesegnetes, ein gutes Jahr hatten sie bitter nötig….“ Pfarrer Unterseher arbeitet in Hohenstetten, einen kleinen Ort auf der schwäbischen Alb. Wir schreiben Silvester 1815. Noch ahnt keiner, dass ein Jahr ohne Sommer vor ihnen liegt. Zwar ist endlich Frieden, doch die Natur scheint verrückt zu spielen. Die Autorin hat einen abwechslungsreichen historischen Roman geschrieben. Sie zeichnet darin die Folgen des Vulkanausbruchs von 1815 auf Indonesien für ein kleines deutsches Dorf nach. Der Schriftstil ist ausgefeilt und sehr bildhaft. Er sorgt für einen guten Lesefluss. Immer wieder nimmt die Autorin Bezug auf das Wettergeschehen. „...Die erste Maihälfte regnete es fast täglich, und wenn sich schon einmal die Sonne zeigte, dann hinter diesem gelblichen Dunstschleier...“ Nachtfrost im Mai, Gewitterstürme und Hagelschäden sorgen auf den Feldern für Missernten. An den wenigen sonnigen Tagen wird geerntet, was gerade noch wächst, egal ob reif oder nicht. Normalerweise haben sich die Bauern mit ihrer Arbeit am Webstuhl ein Zubrot verdient, doch Billigimporte aus England lassen sie verzweifeln. Trotzdem geht das Leben im Dorf weiter. Der Dorflehrer Friedhelm und Paulina, die Tochter des Schultes, lieben sich. Davon aber will der Schultes nichts wissen. Er sieht seine Tochter verheiratet mit dem Dorfmetzger. Währenddessen nimmt die Not zu. Friedhelm und der Pfarrer setzen sich für die Ärmsten der Armen ein. Sie organisieren zusammen mit Paulina und ihrer Mutter eine Art Suppenküche. Im Gasthaus des Schultes scheint es allerdings an nichts zu fehlen. Währenddessen stirbt der König. Von dem neuen Herrscher erwartet man sich Hilfe. Der lässt auch Getreide aus Russland importieren. Auf dem Dorf aber kocht der Zorn hoch, denn dort kommt nichts davon an. Immer wieder muss der Pfarrer die Gemüter beschwichtigen. Dabei geht er mit guten Beispiel voran und nimmt Familien auf, die alles verloren haben. Die Ersten denken über eine Ausreise nach Amerika nach, denn die Werber schildern das Leben in schillernden Farben. Doch in Amsterdam, wo man auf die Schiffe wartet, zeigt sich ein anderes Bild. Friedhelm und Paulina wollen sich in Stuttgart ein gemeinsames Leben aufbauen. Während Friedhelm dort nach Arbeit sucht, fällt Paulinas Vater eine folgenschwere Entscheidung. Sehr gut ausgearbeitete Gespräche geben einen Einblick in die Lebensverhältnisse und die Gedanken der Protagonisten. So erklärt ein Kaufmann Friedhelm: „...Der Schwabe, erst recht der Pietist, ist schaffensfreudig, beharrlich bis zur Sturheit und trotzdem offen für Innovationen. Und rebellisch kann er obendrein sein...“ Durch Friedhelm lerne ich auch das Leben in Stuttgart kennen. Hier ist die Diskrepanz zwischen Arm und Reich wesentlich größer und offensichtlicher als auf dem Dorf. Dort konnte der Schultes seine Machenschaften lange verstecken. Ein informatives Nachwort und ein Glossar ergänzen die Geschichte. Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es beschreibt sehr anschaulich die Lebensverhältnisse und zeigt, dass es auch in Zeiten der Not Mitgefühl und Barmherzigkeit gibt. Gier und Macht haben nicht das alleinige Sagen.

zurück nach oben