derduftvonbuechernundkaffee
Inhalt: Es beginnt schleichend. Erst ist es nur eine Schmerztablette, die Erleichterung bringt, und die einen vergessen lässt. Die einem hilft, den Alltag besser zu durchstehen. Dann nimmt man eine weitere. Was ist schon dabei? Während andere ihrer Müdigkeit mit Koffein begegnen, setzt man halt auf leistungsfördernde Chemikalien. Es beginnt ein schleichender Abstieg, der in einem Höllensturz endet. Denn irgendwann kommen die Nebenwirkungen: Schweißausbrüche, Fieberschübe, das Gefühl nicht mehr Herr der Lage zu sein und dann ist es zu spät, um alleine davon loszukommen. Zumindest ist das in Isaacs Fall so … Auf einer Party, bei der Drogen konsumiert werden, in einem Viertel, das bald für einen Freeway abgerissen werden soll, findet Isaac seine Schwester Ivy. Sie ist hier mit Craig, diesem Jungen, der ihr noch nie gutgetan hat. Zu Hause sitzen Ivys und Isaacs Eltern und machen sich Sorgen. Um die Zukunft ihrer Firma, um die Kinder. Sie sind hilflos, wenn es um die Lösung von Problemen geht. Hilfloses Schweigen, Sanktionsmaßnahmen, die bei Isaac und Ivy nur zu Wut führen, weil die Eltern nie ihre Probleme sehen und auch völlig unfähig sind, diese gemeinsam mit den Kindern anzugehen. Also war es Isaac, der losgezogen war, um seine Schwester zu finden. Um eine Eskalation zu Hause zu vermeiden. Als er nun Ivy mit Craig ansichtig wird und dieser auch noch ein kleines Tütchen in der Hand hält, verliert Isaac die Kontrolle. Er ist eigentlich nicht der Typ, der Probleme mit Gewalt löst. Doch am diesem Abend passiert es. Er geht auf Craig los. Es gibt eine Rangelei, aus der Isaac zwar mit einem kaputten Knöchel, aber dennoch als Sieger hervorgeht. Denn seine Schwester hat er für den Moment vor größerem Unheil bewahrt. Schnell mutet das Ganze wie ein Pyrrhussieg an. Zu Hause überkommen Isaac Schmerzen im lädierten Knöchel. Seine Großmutter weiß Rat. Sie bietet ihm eine Tablette an, die sie gegen die Probleme mit ihrer Hüfte einnimmt. Es handelt sich um Oxycodon. Und das ist der Moment, in dem Isaac und Roxy sich das erste Mal begegnen. Es ist der Beginn einer leidenschaftlichen Affäre, die schon bald zu einer toxischen Beziehung ausartet. Ivy hat Freunde, jedoch reden diese am liebsten den ganzen Tag nur über sich selbst oder die Partys, die sie schmeißen wollen. Die Beziehung zu ihren Eltern ist zerrüttet und dann gibt es noch ihren Bruder. Dieser führt ein anderes Leben als sie, aber er ist immerhin jemand, der im Zweifel für sie einsteht. Seit Ivy denken kann, leidet sie unter Konzentrationsproblemen. Sie ist inkonsequent in ihrem Verhalten und vergisst viel zu oft wichtige Dinge. Bei Ivy wird ADHS festgestellt. Das Aufputschmittel Adderall soll ihr helfen, sich besser zu konzentrieren. Es ist eine zarte Freundschaft, eine platonische Beziehung, die sich zwischen Ivy und Addison anbahnt. Doch Addison ist jemand, der sie vorwärts bringt. Der ihr hilft, ihre Beziehung zu Craig zu beenden und ihre schulischen Leistungen stark zu verbessern. Endlich hat Ivy – mit Addisons Hilfe - eine Chance ihre Zukunft anzugehen. Meinung: Das Vater-Sohn-Gespann Neal und Jarrod Shusterman schreibt mit „Roxy“ einen Roman, der unter die Haut geht. In erster Linie geht es hier um das Geschwisterpaar Isaac und Ivy, die beide ihr Leben autark gestalten und irgendwie versuchen, einen Platz in der Welt zu finden. Die zerrüttete Beziehung zu ihren Eltern, falsche Freundschaften und ambitionierte Zukunftspläne prägen die Herausforderungen der Alltagsbewältigung. Geschickt zeigen die Autoren, wie schnell es passieren kann, dass man durch einen kleinen Zufall in eine Drogenabhängigkeit hineinschlittern kann. Im Falle von Isaac ist es eine Schmerztablette der Großmutter, die ihm Erleichterung verspricht. Am Anfang stehen vermeintlich harmlose Schmerztabletten, doch dann folgt die Abhängigkeit und am Ende steht ein lebensbedrohlicher Suchtkreislauf. Das Autorenduo bedient sich dem literarische Mittel der Personifikation der Drogen. Im Fokus stehen das Aufputschmittel Adderall (Addison) und das Schmerzmittel Oxycodon (Roxy). Roxy ist zielstrebig und voller Leidenschaft. Sie möchte es an die Spitze der Familienhierarchie schaffen. Vorbei an ihrem Cousin Phineas (Morphium) und ihrer Cousine Nalo (Naloxon) und ihren Geschwistern Vic (Vicodin) und Dillie (Dilaudid). Ja, sie möchte auch ihren Cousin Hiro (Heroin) vom Thron stoßen. Sie möchte auf dem Markt als Siegerin hervorgehen. Aber wer möchte das von ihrer herrschaftssüchtigen Verwandtschaft nicht? Addison hingegen hat stark mit Selbstzweifeln zu kämpfen. Seine Cousins Dusty und Charlie (Kokain) bekommen immer alles, was sie wollen. Mit absoluter Leichtigkeit. Crys (Crystal Meth), das Familienoberhaupt, hat ihm schon so oft einen Schützling entrissen. Addison möchte die Welt verbessern. Er möchte denen, zu denen er eine Bindung aufgebaut hat, helfen, besser zu werden. Rat findet Addison bei seiner Schwester Rita (Ritalin). Sie ist die Ruhe selbst, wenn sie strickt und beobachtet. Sie wird gerufen, um einem kleinen Kind zu mehr Ruhe zu verhelfen. Und das reicht ihr auch völlig aus. Doch Addison möchte mehr. Er ist frustriert und genervt von seiner Verwandtschaft. Er möchte zeigen, was in ihm steckt. Er möchte nicht in Vergessenheit geraten. Als Roxy, die meint, sie sei inzwischen so viel besser als Addison, ihn also auf eine kleine Wette einlädt, überlegt Addison nicht lange. Mit Ivy an seiner Seite möchte er es allen zeigen. Er möchte sie mit auf die Party nehmen und zwar ohne, dass sie, wie die meisten anderen, die die Party besucht haben, zu Crys wechselt und das auch bevor Roxy dort mit Ivys Bruder Isaac auftaucht. Neal und Jarrod Shusterman erwähnen in ihrem Buch allerhand Charaktere. So gibt es die drei Familienclans der Halluzinogene, der Schmerzmittel und der Aufputschmittel. Jeder dieser Clans besteht aus verschiedenen Drogen, die in dem Buch charakterisiert werden. Zudem gibt es die beiden „Außenstehenden“ Al (jedermanns Freund, der Alkohol) und Lude (der lange verloren geglaubte Onkel – Methaqualon). Um hier einen besseren Überblick zu behalten, findet man als Leser einen Familienstammbaum am Anfang des Buches, den man zum schnellen Nachschlagen immer wieder zur Hand nehmen kann. Auch mit wenig Kenntnissen, was Medikamente und Drogen und ihre Wirkung angeht, kann man diese Geschichte daher sehr gut folgen. Fazit: Neal und Jarrod Shusterman schreiben mit „Roxy“ über ein hochaktuelles Thema. In den USA stirbt mittlerweile circa alle fünf Minuten ein Mensch an einer Überdosis. In den 1980er-Jahren war Crack, eine tödliche Droge, vor allem eine Heimsuchung armer Menschen. Jetzt spielt sich die sogenannte Opioid-Krise mitten in der amerikanischen Gesellschaft ab. Sie erzählen in ihrem Buch, wie niedrigschwellig der Einstieg in eine manifeste Drogenkarriere sein kann. Die Personifikation hat ja bekanntlich eine lange Tradition als Stilmittel. In der Literatur wurden Tiere, Gegenstände, Naturerscheinungen und Pflanzen personifiziert. Besonderer Clou des Autorenduos: Hier erfolgt eine Personifizierung der Drogen. Neal und Jarrod Shusterman gelingt es, das Problem gleichsam unterhaltend wie informativ aufzuarbeiten. Der unterhaltende und der sachlich-informative Aspekt werden dabei gekonnt zueinander in Bezug gesetzt. Das zu lesen entfaltet seinen eigenen Rausch. Einen Lesesog, den man sich nur schwer entziehen kann. „Roxy – Ein kurzer Rausch, ein langer Schmerz“ ist für mich daher ein Lesehighlight. Wer sich glänzend unterhalten, aber gleichzeitig nicht dumm sterben möchte, dem kann ich das Buch ans Herz legen. Buchzitate: Die Fahrstuhltüren öffnen sich, und ich trete ein. Es gibt nur zwei Knöpfe. Einen, um nach oben auf die Party zu fahren, und einen, um nach unten zu fahren. Keinen Notknopf. Keine Hilfe oder Rettung.