gachmuret
Herr Schmidt kommt gut zurecht im Leben. Alles geht seinen ordentlichen Gang, seine Welt als Wille und Vorstellung ist in Ordnung. Bis eines Tages seine Frau Barbara nicht mehr aufsteht. Plötzlich ist Herr Schmidt mit Fragen und Problemen konfrontiert, denen er sich zuvor nicht stellen musste. Essen kochen, Wohnung reinigen, Einkaufen, soziale Kontakte pflegen... Nach anfänglichem Scheitern an diesen Hürden widmet er sich mit einem unerschütterlichen Glauben an seine Lernfähigkeit und einer beeindruckenden Fähigkeit, unbeirrbar alles zu ignorieren, was ihm unverständlich und unnötig vorkommt, den neuen Herausforderungen seines Alltags. Alina Bronsky schafft hier einen Helden, dessen Verhalten auf andere brüsk, zurückweisend, unempathisch wirken muss. Er ist völlig unempfänglich für Zwischentöne einer Kommunikation - sei es mit seinen Kindern, Nachbar:innen oder Ärzt:innen, die sich um Barbara sorgen, nach ihr erkundigen, gemeinsame Aktivitäten oder Besuche vorschlagen. Er hat diese Art Gespräche zuvor nie geführt, kennt ihre Regeln nicht. Und genau so, wie er nicht versteht, wird er auch nicht verstanden. Denn Herr Schmidt ist weder lieblos noch unempathisch. Das wurde mir zumindest beispielsweise sehr deutlich, als er mit großer Akribie versucht, Barbaras Lieblingsgericht in Perfektion zuzubereiten. Da ist eine große Menge Liebe in diesem Menschen, er hat es nur nie gelernt, diese auch nur annähernd adäquat zu äußern. Oder sie bei anderen wahrzunehmen. Es steckt sehr viel Tragik in dieser Figur, in seiner beharrlichen Weigerung, Barbaras Zustand zu akzeptieren, darin, wie er sich immer weiter in die Perfektionierung der Essensversorgung steigert, je schlechter es Barbara geht. Seinen Glaubenssatz, sie müsse nur wieder ordentlich essen, dann ginge es ihr wieder besser und sie stünde wieder auf, hält er immer verzweifelter aufrecht - ohne sich selbst freilich seine Verzweiflung einzugestehen. Dadurch entstehen naturgemäß hochgradig absurde Szenen, die dadurch sehr komisch wirken können. Beispielsweise, wenn er Facebook-Kommentare nicht nur wortwörtlich nimmt, sondern sich auch noch die Mühe macht, auf jeden einzelnen zu antworten. Da entstehen großartige Gesprächsfäden, die durchaus ein Kapitel in Lehrbüchern über gescheiterte Kommunikation verdienen. Aber mir blieb trotz allem häufig das Lachen im Hals stecken, weil ich gleichzeitig Herrn Schmidts Leiden gesehen habe - und das Leid, das er ungewollt über andere bringt.