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Buchdoktor

Posted on 3.4.2022

K-Ming Chang erzählt von drei Generationen Frauen, deren Leben von Emigration, Kuli-Arbeit und abwesenden Männern/Vätern geprägt ist, die zur See fahren oder im Ausland („auf dem Festland“) arbeiten. Unsicher, ob sie ihren ersten Ehemann und Vater ihrer Töchter überhaupt wiedersehen wird, gibt eine der Frauenfiguren ihre Kinder zu ihrer Mutter, um mit einem anderen Mann in einem anderen Land weitere Töchter zu bekommen. Denkbar, dass alles anders verlaufen wäre, wenn es sich nicht um Töchter gehandelt hätte. Zeitlich einordnen lässt sich die Handlung durch den Abschnitt, der 1980 in Arkansas spielt, wo die Familie zuerst auf einer Hühnerfarm Schlangen tötete. Schlangen in unvorstellbaren Mengen, die dicht an dicht den Boden bedeckten, Schlangen, die auch in ihrer Heimat Taiwan ständiges Gesprächsthema und Basis heimatlicher Mythen waren. Anfangs wirkte der Plot auf mich stark verfremdet, als ich mir noch unsicher war, in welchem Land welche Generation gerade zu Wort kommt. Verbindungsglied ist die Mutter der Erzählerin, deren Odyssee durch die Sprachen markiert wird, die sie bei jedem Jobwechsel lernen muss: Kreolisch, Japanisch, Mandarin und Atayal aus Taiwan. Brachiale Ereignisse finden in Form von Gebären, Verschlingen, Begraben, aus dem sumpfigen Untergrund wieder Hervorquellen, Prügeln u. a. körperliche Verletzungen statt. Blut und weitere Körperflüssigkeiten fließen in Strömen. Riten und Mythen wirken auf mich weniger fremd, wenn ich mir geografische Lage und Klima Taiwans verdeutliche, wo Schlangen, giftige Insekten, Taifune und Tropenkrankheiten alltäglich sind. Wo es Schlangen gibt und körperliche Züchtigung mit dem Bild eines schlangenhaften Wasserschlauchs verbunden ist, muss man sich über die Präsenz des Themas nicht wundern. Aberglaube wird in diesem Roman wie in einer Zeitkapsel von Generation zu Generation transportiert, ohne dass die Überbringer sich bewusst sind, welchen konkreten Hintergrund die Überlieferungen haben. Hochinteressant fand ich das wiederholte Auftauchen des chinesischen Schriftzeichens kou (Mund, Öffnung) – in seinen diversen Verbindungen. Ein Serviceteil mit kurzen Erklärungen zu Mythen, Tier-Symbolik und der sprachlichen Basis hätte dem Buch gutgetan. Insgesamt ein fordernder Roman, der mich an „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ erinnert und den ich nur Interessierten mit Vorkenntnissen empfehle.

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