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Angesichts der Lage im März 2022 wirkt das neue Buch von PRECHT ein wenig aus der Zeit gefallen. So sehr ist man inzwischen daran gewöhnt, dass der medienwirksamste deutsche Philosoph sich zu tagesaktuellen Fragen äußert, dass man schon fast automatisch mit einer Betrachtung zum Ukraine-Krieg gerechnet hat (was zeitlich natürlich völlig unrealistisch wäre). Nein, es geht nicht um die Aufreger-Themen; der Begriff „Freiheit“ ist weder pandemisch noch politisch/militärisch gemeint; PRECHT widmet sich in diesem voluminösen Sachbuch in aller Ausführlichkeit seinem wohl größten und dauerhaftesten Anliegen: Er will der deutschen Gesellschaft und ihren Entscheidungsträger unmissverständlich klarmachen, dass eine weitreichende Veränderung der Arbeitswelt auf uns zukommt und dass es dringend geboten wäre, sich darauf vorzubereiten. Ihm ist das Thema so wichtig, dass er Redundanzen in kauf nimmt: Seine grundlegenden Argumentationslinien sind seit Jahren bekannt – aus früheren Büchern, diversen Vorträgen und unzähligen Medienauftritten. Warum legt PRECHT nach? Nun, er hatte wohl das Bedürfnis, sein vertrautes Narrativ von den dramatischen und allumfassenden Auswirkungen der Digitalisierung noch einmal faktenreich zu unterfüttern. Der Autor geht in die Tiefe und ins Detail. So ist eine Publikation entstanden, die eher ein Fach- als ein Sachbuch darstellt. Es ist kein Statement für den flüchtig interessierten Durchschnittsleser, sondern eher eine systematische Aufarbeitung der ökonomischen, historischen und gesellschaftlichen Fragen rund um die zukünftige Rolle der (Erwerbs-)Arbeit. Als Kernthese wird formuliert: Wir sind auf dem Weg von einer Arbeitsgesellschaft zu einer Sinngesellschaft – und wir sollten diese Revolution nicht ungesteuert auf uns einbrechen lassen. Das Buch beginnt im Bereich der Wirtschaftswissenschaften: Schon nahe an dem Niveau eines volkswirtschaftlichen Seminars werden die widersprüchlichen Prognosen zu dem vermeintlichen Arbeitsplatzabbau (als Folge von Automatisierung und KI) dargestellt und bewertet. PRECHT hält es für sehr plausibel, dass sich frühere Entwicklungen (alte Arbeit wird durch neue ersetzt) eben diesmal nicht wiederholen werden. Das alles ist sehr überzeugend. Natürlich erfolgt auch eine Differenzierung zwischen verschiedenen Berufsfeldern: Nicht verschwinden wird der Bedarf nach Empathie-Berufen (Pflege, Bildung, Coaching, Therapie), nach Handwerk und nach Spitzenkräften in IT, Projektmanagement und Forschung). Im nächsten Teil wird es dann deutlich historischer, philosophischer und soziologischer: Der – scheinbar so zentrale und unverrückbare – Stellenwert der (Erwerbs-)Arbeit für das Selbstverständnis von Menschen und Gesellschaften wird durch eine geschichtliche Betrachtung ins Wanken gebracht. Es wird deutlich, dass es eben nicht so selbstverständlich zum Wesen des Menschen gehört, sich durch Arbeit (gegen Lohn) zu definieren; dahinter standen und stehen kulturelle und ökonomische Bedingungen. Woraus wiederum folgt, dass auch zukünftige Veränderungen möglich sind, ohne der „Natur“ des Menschen zu widersprechen. Das zentrale Thema für das restliche Buch ist dann – für PRECHT-Kenner alles andere als überraschend – das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) als Antwort auf die bevorstehenden Umwälzungen. Ganz nach dem Stil dieser recht akademischen Publikation stellt PRECHT diesen Lösungsansatz in allen historischen Ursprüngen und in aller Differenziertheit bisheriger Umsetzungen und bestehender Konzepte dar. Dabei geht es um zwei grundlegende Ebenen: um die Finanzierbarkeit und die individuellen und gesellschaftlichen Folgen. Für beides führt PRECHT jede Menge gute Argumente ins Feld; natürlich kommen auch Skeptiker und Gegner zu Wort. Die Argumentationslinie wäre nicht komplett, wenn der Autor ganz am Ende nicht auch auf die Notwendigkeit eines veränderten Bildungssystems zu sprechen käme: Natürlich muss der von eintöniger und belastender Arbeit befreite Mensch (da ist sie endlich, die FREIHEIT) durch eine umfassende Persönlichkeits-Bildung auf dieses veränderte Lebenskonzept vorbereitet werden. Die erworbene Flexibilität und Offenheit für immer neue Herausforderungen soll dabei die Grundlage sowohl für sinnstiftende Arbeit (im klassischen Sinne) als auch für persönliche (kreative, soziale, künstlerische, …) Erfüllung schaffen. PRECHT hat mit diesem Buch ohne Zweifel einen gewichtigen Diskussionsbeitrag vorgelegt, an dem die betroffenen Disziplinen und Entscheider kaum unberührt vorbeikommen werden. Er beeinflusst die gesellschaftlichen Entwicklungen damit langfristig sicher stärker als durch die letzten, etwas sehr spontan wirkenden Statements zur Tagespolitik (Corona, Regierungsbildung und Krieg). Was PRECHT ohne Zweifel kann, ist die gründliche Aufarbeitung komplexer Themen. Wer das für die Thematik „Zukunft der Arbeitsweilt“ gerne hätte, der/die sollte hier zugreifen. Wem die Kurzfassung reicht, findet dazu in diversen Mediatheken reichlich Stoff.