wandanoir
Familien und ihre Hintergründe Die Familie Ghorami und Frau Sangster treffen bezüglich der bevorstehenden Heirat ihrer Kinder Yasmin und Joe aufeinander. Man will sich kennenlernen und gemeinsam die Hochzeit planen. Wird dieses Treffen deshalb ein Desaster, weil unterschiedliche Kulturen und Werte aufeinanderprallen, eine liberale, freizügige Alleinerziehende trifft konservative und prüde Familie? Zum Erstaunen des Paares verstehen sich Joes Mutter und Yasmins Mutter auf Anhieb. Anisah erzählt Harriet, was sie ihren Kindern nie erzählt hätte. Der Kommentar. Beim Lesen drängt sich mir leider zuerst auf, was dieser Roman alles nicht ist. Er ist kein Lehrstück in punkto unterschiedlicher Kulturen. Gar nicht. Wie schade! Dass es Halal und Haram im Islam gibt (to do and not to do) ist jetzt keine neue, tiefschürfende und umwerfende Erkenntnis (wissen wir schon) und dass sexuelle Freizügigkeit im Westen seit den Hibbies und Flowers in den 60ern und 70ern propagiert wird, auch nicht (wissen wir schon). Dass indisches Essen sich vom englischen unterscheidet: Binse. Die Unterschiedlichkeit der Kulturen wird an Oberflächlichkeiten buchstabiert. Der Roman ist leider auch keine große Erzählkunst. Zwar. Immerhin. Kommt er floskelfrei daher. Aber vor allem die beschreibenden Passagen der Umgebung, der Landschaft sind fade. Wenn man zum Vergleich Houellebecqs Roman „Vernichten“ hinzuzieht, dann merkt man, dass Alis Beschreibungen Füllsel sind, bloße Auspolsterung ihres Buchs, es sind blutleere Schilderungen von Belanglosigkeiten, die man gar nicht bräuchte und die die Handlung unnötig verzögern (über 500 Seiten). Sie haben weder eine Funktion noch sind sie stilistisch gelungen. Sie sind nicht hinreißend. Der Sprache fehlt dafür das Timbre, das Runde, das Tiefe, die Melodie. Wie anders Houellebecq, der sich in seinem neuen Roman ebenfalls ausführlichsten Landschaftsbeschreibungen hingibt. Aber diese Beschreibungen französischer Provinz haben dort eine Funktion! Sie drücken Sehnsucht, Verlust, Trauer, Nostalgie und Heimatverbundenheit aus und noch vieles mehr. Und der Ton unterscheidet sich gewaltig. Bei Houellebecq sitzt jedes Wort und aus der Wortfülle ergibt sich wohlklingende Musik, eine Symphonie wird gehört! Nun denn. Schon meine Deutschlehrerin annodunno sagte, „daran wie Landschaft eingepflegt wird in den Roman, erkennt man den Kitsch“. Sagen wir hier nicht Kitsch, sondern gepflegte Langeweile. Keine Musik. Kein Klang. Keine Funktion. Keine Fanfare. Was der Roman auch nicht ist, ist eine Charakterstudie. Weder eine Charakterstudie einzelner noch die einer oder mehrerer Familien. Die Handlungsträger sind kaum fassbar. Sie werden nicht mit jedem Federstrich, jeder neuen Handlung, klarer, greifbarer, akzentuierter, sie verschwimmen vor meinen Augen. Ich kann sie nicht kennenlernen. Sie sind keine Individuen. Was auch daran liegt, dass sie nicht reflektieren, keine inneren Monologe führen, nichts. Gerade mal ein Gespräch mit einer Freundin beim Cocktail. Hier wird zu wenig Innenansicht angeboten. Die unbestimmten, wenig geschärften Protagonisten erzählen auch die meiste Zeit, sie plappern, aber sie erleben wenig. Das ist der Roman also auch nicht. Lebendig. Die Protagonisten erzählen, was man wissen muss, insofern sind sie nur Informationsträger. Aber die Dialoge sind wiederum nicht umwerfend. Die Protagonisten fühlen auch kaum etwas. Natürlich wird gesagt, dass sie etwas fühlen, aber nicht gezeigt. Ich kann nicht mitgehen, sie lassen mich kalt. Insofern funktionieren sie auch nicht als Empathieträger. Show, don’t tell. Was unter den Begriff „Ballast“ des Romans fallen dürfte, sind die Szenen im Krankenhaus. Zugegeben, Yasmin ist Ärztin. Manches von ihrem Alltag darf also in den Roman einfließen. Aber medizinische Fälle wie in TV-Serien? Immerhin kann man hier die Absicht erkennen, einiges im Gesundheitswesen zu kritisieren. Personalmangel zum Beispiel. Oder die Willkürherrschaft von Chefärzten. Oder Misswirtschaft. Oder Einsparungspolitik an den Schwächsten. Trotzdem hat man das Gefühl, kaum wird man von der Autorin ins Krankenhaus geführt, ist Spot an, es wird eine Serie gedreht! Einmal, lustig, ist wirklich ein Kamerateam im Krankenhaus. Natürlich hat der Roman auch Positives zu bieten: ich mag nämlich seine Message. Die Message lautet, man kennt seinen Eltern viel weniger als man denkt. Als einzelnes Plus gilt zudem die Therapie Joes bei einem Sexualtherapeuten. Diesen Strang kann man als gelungen bezeichnen. Fazit: Der Roman weist im Plot Stärken auf. Es gibt Überraschungen. Einfälle. Wendungen. Deshalb ist er keine ganze Pleite. Allerdings ist er ganz im Bereich der Unterhaltungsliteratur anzusiedeln und hätte merklich gekürzt gehört. Sprachlich leider eine Enttäuschung, weil es nicht gelingt, ein mittleres Niveau zu überschreiten. Kategorie: Unterhaltung Verlag: Klett Cotta.