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naraya

Posted on 27.3.2022

Die namenlose Protagonistin wird im Jahr nach Tschernobyl geboren, der Vater Türke, die Mutter Deutsche. Zu Beginn ist noch alles gut, doch dann stirbt der Vater bei einem Sägeunfall, das Verhältnis zur Mutter wird immer schwieriger und auch in der Schule findet sie keinen Anschluss. Nach und nach gewinnt sie zwar vier Freundinnen, aus einer Zweckgemeinschaft heraus, aber auch eine hartnäckige Essstörung und eine lange Liste von Ex-Liebhabern. Ihren Roman erzählt Yade Yasemin Önders Hauptfigur aus der Ich-Perspektive, wobei sie immer wieder durch die Zeiten springt, von der Geburt und Kindheit, zur Jugend, den ersten sexuellen Erfahrungen bis hin zur psychiatrischen Klinik, in der sie sich als Erwachsene befindet. Sprachlich gesehen sprengt sie dabei alle Grenzen, zerfasert Wörter und Sätze und setzt sie so lange neu zusammen, bis die Realität nicht mehr von der Imagination zu unterscheiden ist. Sprachexperimente haben durchaus etwas für sich und es ist sicherlich hochinteressant, wenn die Autorin ein Kapitel in Varianten immer wieder neu erzählt, mal in Dopplungen, in Verneinungen oder in extremst genauen Angaben. Darüber hinaus muss ein Text für mich aber auch Substanz haben, eine Handlung, charakterisierte Figuren und einen gewissen roten Faden, auch dann, wenn die Reihenfolge der Ereignisse nicht stringent ist. Das alles fehlt mir in diesem Roman aber komplett. In einer anderen Rezension habe ich gelesen, am Ende füge sich alles zusammen: für mich war das leider nicht der Fall. Ja, es geht um die klassisch modernen Themen: Identität, Rassismus, Mental Health und Sex, aber das ist manchmal auch einfach nicht genug. Für mich reicht es nicht aus, darzustellen, wie versiert man mit Sprache spielen kann, wenn sie dann eben nicht genutzt wird. Es genügt mir nicht, pausenlos über irgendwelche Ausscheidungen, Geschlechtsteile oder sexuelle Handlungen zu lesen. Es reicht nicht, wenn die Protagonistin sich mit ihrer personifizierten Bulimie unterhält. Das mag zwar alles sehr weltoffen und locker wirken, wurde aber eben von so vielen Autor*innen vorher auch schon gemacht – und das leider viel besser.

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