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trinschen

Posted on 26.3.2022

Wer kennt nicht das gute Gefühl der Bestätigung, wenn der eigene Post bei Instagram gelikt wird? Oder die Unsicherheit, ob man wirklich gut genug für den Traumjob ist? Oder das Bedürfnis, alles tun zu müssen, damit es das eigene Kind einmal besser hat als man selbst? Das ist unser kindlicher Narzissmus, dem die Psychologin und Philosophin Katharina Ohana in ihrem Buch ausführlich auf den Grund geht. Warum suchen wir unser Leben lang nach Anerkennung durch Statussymbole, warum müssen wir immer besser sein als die anderen – und was würde passieren, wenn wir das permanente Streben nach Selbstoptimierung einfach sein lassen und einfach glücklich sind mit dem, was wir haben? Ohana hält dem Leser / der Leserin knallhart einen Spiegel vor, denn ihre Beispiele sind so gewählt, dass sich jede/r darin wiedererkennt. Und ja, das Lesen und die anschließende Reflexion tut durchaus weh, wenn man dann für sich feststellt: Ja, sie hat recht, so benehme ich mich ja auch!. Zum Beispiel lohnt es sich darüber nachdenken, warum man auf dem Parkplatz eines Biosupermarktes so viele SUVs sieht. Wie ernst ist die Überzeugung von dem Konsum biologischer Lebensmittel oder dienen diese nur als Rechtfertigung des kindlichen Narzissmus, dass man so ja etwas Gutes tut (und den Benzinverbrauch des SUVs dabei „vergisst“?). Der Schreibstil ist sehr angenehm: einerseits zählt Ohana sachlich nüchtern Fakten auf (inklusive Belege, das ausführliche Literaturverzeichnis im Anhang bietet vereinzelt noch weitere Erklärungen) und mischt diese andererseits mit Meinungen/Erfahrungen von nicht näher beschriebenen Personen und Ergebnissen aus der wissenschaftlichen Forschung. Außerdem erklärt sie an jedem Beispiel, wie sich der kindliche Narzissmus äußert und wie sein Gegenpart, der erwachsene Narzissmus, handeln würde. Dabei begibt sich die Autorin auf einen Streifzug durch alle Themen, die in den letzten Jahren aktuell geworden sind, unter anderem beschäftigt sie sich mit Helikoptereltern, Querdenkern, Coachings für jede Lebenssituation, Klimawandel oder dem Einfluss von Social Media und Werbung auf unser Selbstbild und unser Konsumverhalten. Ohanas Fazit: Wir brauchen eine nachhaltige Veränderung unserer Verhaltensweisen. Dazu schreibt sie im Vorwort: „Statt mit biotechnischem Fortschritt und andauernder Selbstoptimierung immer weiter unreife narzisstische Ansprüche durchzusetzen, brauchen wir eine erwachsene Kultur, die unsere inneren und äußeren artgerechten Grenzen und Möglichkeiten erkennt und akzeptieren lernt.“ Das Buch kann sehr unangenehm werden, wenn man die gemachten Aussagen auf das eigene Leben bezieht und reflektiert. Es regt definitiv zum Nachdenken an und zeigt anhand der vielen Beispiele, dass schon kleine Verhaltensänderungen im Alltag viel verändern können. Auch wenn ich einige Aussagen der Autorin ein wenig kritisch sehe (z.B. ihre eher abwertenden Aussagen zum Thema Coaching und Methoden der Verhaltenstherapie), regt das Buch zu Diskussionen und zum Überdenken des eigenen Verhaltens an.

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