hermunduh
Die Liebe ist nicht immer die größte Kraft Creep, Philipp Winkler Fanny ist das einzige Kind reicher Eltern und wächst ungeliebt in einer großen deutschen Stadt auf. Etwas wie Freude erlebt sie ausschließlich am Computer des Nachbarjungen, einem schrägen Außenseiter wie sie, mit dem sie durch die düstere Welt des Darknets cruist. Später findet sie einen Job in einer Firma die Sicherheitssoftware an reiche Hausbesitzer verkauft und loggt sich heimlich in die Leben der Kunden ein. Sie lebt dank grenzenloser Überwachungstechnik unsichtbar neben diesen Menschen. Sie ernährt sich vom Leben der Anderen und etwas abgepackter Soldatennahrung aus aller Welt. Einmal im Jahr besucht sie ihre Eltern, wo ihr Vater ihr nichts zu sagen hat, als an das Stosslüften in ihrer Wohnung zu denken. Der etwa zwanzigjährige Yunya vegetiert in Tokyo im Haus seiner Mutter im verschlossenen Kinderzimmer am Computer und hat seine real World längst mit dem Darknet vertauscht. Als Kind in der Schule gemobbt und von der Mutter gequält, sucht er wie Fanny das Glück im Leben fremder Menschen. Oder ist es das Leid? An einem bestimmten Punkt greift Yunya zum Hammer seines Vaters, versteckt sein Gesicht hinter einer Maske und wird in den Schlafzimmern zum tödlichen Nachtmahr. Yunya wie Fanny werden von Opfern zu TäterInnen, wobei dieser Grenzübertritt für sie keiner ist, sie leben in ihrem eigenen Space nach eigenem Regeln. Als Kommunikationsfläche zählt allein das Netz, in dem sich wie zufällig ihre Wege sanft kreuzen. Das Netz liebt und hasst alle gleichermaßen, es schenkt Kontrolle, Zuneigung, Anerkennung. Es befreit von der wirklichen Welt, in der für Creeps wie Fanny und Yunya kein Platz ist. Winkler erschafft nach Hool einen zweiten wuchtigen Roman mit überzeugenden Bildern. Seine ProtagonistInnen mutieren nie zum Teil eines Menschenzoos, er liebt sie und umhegt sie, er hält sie an der Hand, bis er sie in unsere Hände gibt und wir immer tiefer in die finstre Welt von Fanny und Yunya eindringen. Philipp Winkler, Creep, Berlin, Aufbau Verlag 2022, 342 Seiten, 22 € » Nein, sagt Fanni. Was nein? Zu allem«