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Gabriele

Posted on 20.3.2022

Jan ist ein Nachwendekind, das die DDR nur noch vom Hörensagen kennt, aber den Verfall von Firmen noch vor Augen hatte. Er arbeitet in einem Krankenhaus, in das immer weniger Patienten kommen und deshalb bald geschlossen werden soll. Patient Günter Kern, der von allen nur „der Alte“ genannt wird, nimmt vermehrt Kontakt zu ihm auf. Er schenkt Jan einen Karton mit Erinnerungen, die das Leben des Krankenpflegers tiefgreifend beeinflussen. Lukas Rietschel, 1994 in Ostsachsen geboren, erzählt in zahlreichen Momentaufnahmen sehr lebendig von dieser Zeit des Umbruchs: „All die Fabriken, all die Arbeitsorte, Stahl, Beton und Backstein, und nirgends sah Jan einen Arbeiter. Nur alte Männer, die ihn umherführten und erzählten, wie das mal war, da an dieser Werkbank, dort in der Kantine“ (Seite 84). „Immerzu ging es zurück, seit der Alte aufgetaucht war. Er dachte daran, wie er Karolina mitgenommen hatte. Zum Güterbahnhof, zur Glasfabrik, zu den Schrebergärten. Vor allem dachte er daran, wie er mit ihr vor dem Wohnblock gestanden hatte, seinem Wohnblock, als er abgerissen wurde.“ (Seite 104) Dieser Roman hat mich beeindruckt, da er das zerbrochene Ostdeutschland bruckstückhaft, spannend, traurig, bedrückend und doch mitreißend darstellt. Genauso habe ich Vieles erlebt, nachdem ich vor 15 Jahren dieses Gebiet zur Heimat erkor. Die Geschichte, die sich nach und nach herauskristallisierte, fand ich allerdings schwer durchschaubar. Erst ganz zum Ende wurde deutlich, worauf der Autor hinaus wollte. Ich habe das Buch trotzdem regelrecht verschlungen. Wichtig finde ich noch den Hinweis auf den Titel des Buches (Seite 196): „Mutter, Vater. Für Jan waren sie Raumfahrer. Schwebten in einer Zwischenwelt, ihrem Ausgangspunkt entrissen. Während sie schwebten, hatte sich die Welt schon ein Dutzend Mal weitergedreht. Und Jan stand auf der Erde und richtete sein Fernglas auf sie.“

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