Buchdoktor
Yasmin Ghorani arbeitet als Assistenzärztin in der Gerontologie eines Londoner Krankenhauses und lernt für ihre Prüfung als Fachärztin. Obwohl sie außer der Prüfung weitere berufliche Probleme zu bewältigen hat, will sie endlich ihren Partner Joe heiraten – einen Männertyp, den alle lieben. Yasmin und ihr jüngerer Bruder wohnen noch im Hotel Mama, wie auch Joe bei seiner Mutter Harriet. Die zu planende Hochzeit lässt in beiden Familien eine explosive Mischung interkultureller und interreligiöser Probleme eskalieren, um die bisher sorgfältig herum laviert wurde. Joe ist allein bei seiner Mutter aufgewachsen und war ihr schon als kleiner Junge der Ersatzpartner. Yasmin hat mit ihrer Berufswahl Träume ihres Vaters erfüllt, die Shaokat Ghorami vermutlich für seinen Sohn gehegt hatte. Arif studierte zwar irgendeine brotlose Kunst mit Abschluss, hat gerade die Anti-Rassismus-Bewegung für sich entdeckt und ist mit seiner phlegmatischen Art dem Vater ein Dorn im Auge. Wundern könnte man sich darüber, dass Mutter Anisah außer der Bemutterung von Mann und Kindern keine Ziele zu haben scheint. Anders als noch vor 20 Jahren, als Jhumpa Lahiri verblüffend ähnliche Familienverhältnisse unter Einwandern aus Bengalen in die USA beschrieb, würde es heute für eine versierte Köchin und erfahrene Mutter durchaus befriedigende, angesehene Aufgaben geben. Als gemeinsam mit den Eltern des Paars die Hochzeitsplanung diskutiert wird, wagt das junge Paar nicht, eigene Wünsche zu äußern. Wenn Yasmin und Josef nicht auszusprechen wagen, dass sie keine große Hochzeit wollen, keine religiöse Zeremonie, nur endlich aus dem Elternhaus ausziehen möchten, müssen sie wohl eine repräsentative Hochzeit in Harriets Stil ertragen. Je passiver und unentschlossener die junge Generation wirkt, umso entschlossener scheint Harriet in dieses Vakuum vorzustoßen. Da sie nach einigen Erfolgen als Autorin und Veranstalterin eines „Salons“ gerade ein berufliches Tief erlebt, kommt ihr die Bekanntschaft mit Anisah als Anregung gerade recht. Doch die Verbindung der beiden Familien gestaltet sich schwieriger als gedacht, weil nahezu alle Beteiligten eine unangenehm manipulative Art haben, sich nicht direkt auszudrücken und ihr Gegenüber mit dem Mittel von Schuldgefühlen zu manipulieren. Alle fühlen sich als Opfer – niemand hat eine so schwere Jugend gehabt wie Shaokat, niemand fühlt sich fern von einem Stadtviertel mit einer großen bengalischen Community so verlassen wie Anisah, niemand muss so unter seinem cholerischen Vater leiden wie Arif – und niemand hat so hart gearbeitet wie Yasmin, um ihre Eltern glücklich zu machen. Familienkonflikte Bengalischer Einwanderer wurden mehrfach filmisch wie literarisch verarbeitet. Seitdem ist einiges Wasser die Themse hinunter geflossen, die Abstimmung zum Brexit liegt nicht lange zurück, das Dating junger Berufstätiger scheint durch Apps wie Tinder nicht leichter geworden zu sein und Yasmin ist direkt von der Krise des britischen Gesundheitssystems betroffen. Leider bleiben Monica Alis Figuren über weite Strecken blass und klischeehaft, zu viel wird aufgezählt und nicht überzeugend gezeigt – bis zum Clou kurz vor Ende des Romans empfand ich die Handlung als quälend langatmig. Die Figuren wirken auf mich austauschbar, weil sie sich in ihrer manipulativen Art zu ähnlich sind. Hätte die Geschichte nicht ebenso gut funktioniert mit differenzierteren und weniger vorabendserienhaft wirkenden Charakteren? Wer bereits Romane von Jhumpa Lahiri gelesen hat, greift hier besser nicht zu.