Yvonne Franke
Ein ganz schmaler Band, keine 100 Seiten, das ist das erste, was einem auffällt, wenn man ihn in Händen hält. Ungewöhnlich und irgendwie mutig, schon dieses Format. Ein Text, der sich Fülle und Dichte zutraut. Zu Recht! Zwei ganze Leben stecken in diesem Text und so gefühlsgenau, dass viele Töchter sich selbst und ihre Väter darin finden können. Ipek und ihr Vater haben seitdem Ipek eine erwachsene Frau ist, verlernt miteinander zu reden. Sie sind scheu geworden. Seitdem Ipek nicht mehr in der schwäbischen Kleinstadt, sondern im fernen großen Berlin lebt haben sie gelernt, ihre Botschaften füreinander durch die Mutter/Ehefrau filtern zu lassen. "Dein Vater sagt ...", "Deine Tochter glaubt ...". "Vater und ich" erzählt eine Neubegegnung der beiden. Ipeks Mutter ist verreist und sie nimmt all ihren Mut und ihre Hoffnungen zusammen, steckt sie in einen Koffer und steigt in den Zug, um ihren Vater zu besuchen. Um bei ihm zu sein und wieder Worte zu finden, um seine Geschichte zu überprüfen, die sie sich aus den Erzählungen anderer zusammengeklaubt hat. Dilek Güngör feine Zwischentöne sind es die, die Figuren näher zueinander rücken. Sie beginnen sich zu erkennen in den Gesten und auch im Schweigen selbst. Die Erinnerung an ein Räuspern, das schon immer da war, wird zur Aussprache, zur Versöhnung. Man liest die letzte Seite und sieht genauer in die Welt.