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kingofmusic

Posted on 15.3.2022

Bemerkenswertes Kleinod „Da ist es wieder, dieses Gefühl. Es ist so betagt wie ich, es ist mein lebenslanger Begleiter. Ich kenne das alles. Es ist wie das Crescendo in der Musik, steigt langsam an, erreicht einen Höhepunkt und verebbt dann wieder. […] Es ist ein diffuses Gefühl existenzieller Bedrohung, dem man hilflos ausgeliefert ist. Es ist so, als hechle ein großer bissiger Hund ständig hinter einem her. Es ist Grauen, Lähmung und Panik in einem und kommt von tief unten aus einer Seelenschicht, in die das, was man mit dem Allerweltsbegriff Angst umschreibt, nicht hinabreicht. Es ist ein Seelengefängnis. Wie nur bin ich da hineingeraten?“ (S. 9) Ausgehend von diesem Gefühl und dieser Frage nimmt uns Autor Felix Schmidt, der mit „Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte“ seinen zweiten autobiografisch-fiktionalen Roman im kleinen, aber feinen Hamburger Osburg Verlag veröffentlicht hat, mit auf eine (emotionale) Reise in seine Vergangenheit. Dabei sind die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion nicht wirklich erkennbar. Das macht (mir) aber nichts. Im Gegenteil: es zeigt, wie gut es Herrn Schmidt gelingt, „in einem Fluss“ zu schreiben – was man zwar bei einem gelernten Journalisten voraussetzen kann, jedoch nicht (das zeigt die Erfahrung) muss *g*. In sparsamen, jedoch einfühlsamen und inhaltsschweren Worten und Sätzen reist Herr Schmidt an den Ort seiner Kindheit und erinnert sich dort u. a. an seinen tiefbraunen sprich nazitreuen Lehrer, der es schaffte, zwischen Vater und Sohn eine Kluft zu schaffen, die ein Leben lang nicht mehr zusammenwachsen sollte. Und doch ist das Buch eine Hommage an einen Vater, der widersprüchlicher nicht sein kann bzw. konnte. Selbstkritisch reflektiert Felix Schmidt das Unverständnis seinerseits gegenüber dem Vater, der sich vehement gegen Hitler und seine todbringenden Schergen gewehrt hat – auch in der Nachkriegszeit, als viele Westen von Nazis „rein gewaschen“ wurden und alte, teils hochdotierte Posten wiederbekamen, als sei nichts gewesen. Dieses System funktioniert heutzutage leider immer noch (zu) gut…Felix Schmidt beschönigt nichts, agiert kindlich-naiv ohne Weitblick; aber woher soll man als Kind/ Jugendlicher auch diesen Blick auf die Welt hernehmen? Einzige „Konstante“ in seinem jungen Leben war die Großmutter, die versuchte auszugleichen „[…] was die Eltern mir an Liebe nicht geben konnten.“ (S. 19). Die Bescheidenheit der Großmutter spiegelt sich auch in einem Absatz wieder, in dem Felix Schmidt in wenigen Sätzen, dafür aber voller Emotionen und Dankbarkeit, ihren Tod verschriftlicht hat. Intensiver und wertschätzender geht´s nicht. Am Ende steht er „[…] wieder vor dem Haus, in das ich hineingeboren wurde und wo ich nach einer schweren Geburt den ersten Schrei ausstieß.“ (S. 152) und fragt sich ob „[…] von der Angst, die ich in diesem Haus ausgestanden habe, etwas zurückgeblieben [ist].“ (S. 154) Und so endet nach knapp 160 Seiten ein Buch, das – so kurz es auch ist – durch seine Intensität der gewählten Worte mehr an Inhalt bietet als manch 600 Seiten-Roman! Außergewöhnlich, intensiv, großartig – die Liste ließe sich beliebig verlängern. Glasklare 5* und eine absolute Leseempfehlung! Und klarer Kandidat für die „King´s Crown Juwels 2022“! ©kingofmusic

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