stinsome
Achtung: Das Buch ist kein Einzelband! Es gibt auch noch einen zweiten Teil. Von #London Whisper habe ich mir eine fantasiereiche, amüsante Zeitreisegeschichte erwartet und dies zu einem Teil, in abgeschwächter Form, auch bekommen. Ich brauchte aber die Hälfte des Buches, bis ich mich richtig auf die Handlung und die Figuren einlassen konnte und mich nicht mehr durch die Seiten zwingen musste. Jetzt am Ende lässt mich das Buch mit einem positiven Gefühl zurück. Vor dem Lesen bin ich irgendwie davon ausgegangen, dass Zoe durch irgendeine magische Fügung aus dem 19. Jahrhundert online Beiträge postet – so im Nachhinein frage ich mich, wie ich diese Erwartungshaltung entwickeln konnte, und komme zu dem Schluss, dass der Untertitel schuld war: „Als Zofe ist man selten online“. Der Klappentext deutet dahingehend nämlich rein gar nichts an und das ist im Buch natürlich auch nicht der Fall, denn das würde ja gar nicht funktionieren. Da hat mein Hirn sich also allein anhand des Untertitels irgendetwas zusammengereimt, vielleicht auch durch das Cover, auf dem schließlich auch ein Smartphone abgebildet ist. Dieses spielt aber tatsächlich keine Rolle und symbolisiert eigentlich nur unser modernes Zeitalter. Zoe landet, während sie gerade auf einer von ihr geplanten Mitternachtsparty ist (die absolut nicht so besonders ist, wie sie auf dem Buchrücken angepriesen wird), im London des 19. Jahrhunderts und ist plötzlich Zofe von der schüchternen Miss Lucie, die sie von diesem Zeitpunkt an dabei unterstützt, ihre Schüchternheit und ihre Zurückgezogenheit abzulegen. Auf einem Ball trifft sie dann auf einen jungen Lord, mit dem sie das gleiche Schicksal als Zeitreisende teilt. Der Grund, warum ich knapp 160 Seiten gebraucht habe, um mich auf die Geschichte einzulassen, ist der katastrophal unrealistische Umgang mit der Zeitreisethematik. Damit meine ich nicht das Zeitreisen an sich, sondern Zoes Reaktion darauf, denn im Prinzip gibt es ihrerseits überhaupt keine Reaktion. Nachdem sie erst von einem Traum ausgeht, nimmt sie es schließlich einfach hin und setzt sich gedanklich zu keinem Zeitpunkt mit der Situation auseinander, während andere sich sicher fragen würden, wie sie wieder in ihre Zeit zurückkehren können, ja, vielleicht sogar ein bisschen Panik schieben würden. Aber nein, nicht Zoe. Was mich von Seite zu Seite mehr gestört hat, war auch die Tatsache, dass Zoe scheinbar absolut keine Probleme dabei hat, sich auf das 19. Jahrhundert einzustellen – es wird so dargestellt, als wäre Zoe einfach in eine andere Stadt gezogen, in der sie ihr Leben eigentlich wie gehabt weiterführen kann. Weder hat sie Probleme mit der altertümlichen Sprache (obwohl Englisch nicht mal ihre Muttersprache ist), noch stört sie sich an den völlig unterschiedlichen Umgangsformen und Lebensumständen. Zugegeben: Sie fügt sich hinsichtlich ihres Verhaltens und ihrer Sprache ganz schlecht in die damalige Zeit ein, aber das stößt, anders, als man es erwarten würde, auf keinen Widerstand vonseiten der anderen Charaktere. Das fand ich schon sehr merkwürdig und furchtbar unauthentisch und es hat mich sehr genervt, dass die Autorin mit dieser Thematik, die so voller Potenzial steckte, so oberflächlich umgegangen ist. Angesichts dieser Tatsache hätte ich das Buch wohl eher in die Kategorie „Kinderbuch“ eingeordnet, da das Buch ja auch ab 12 Jahren empfohlen wird. Aufgrund einiger zweideutiger Kommentare in dem Buch, die von jüngeren Leser*innen aber vielleicht nicht als solche wahrgenommen werden, bin ich diesbezüglich jedoch irgendwie zwiegespalten und kann das Buch keiner Altersgruppe klar zuordnen. Warum mir das Buch letztendlich doch noch ganz gut gefallen hat (was aber alle bisher genannten Kritikpunkte natürlich nicht ungeschehen macht), ist Hayden und die Dynamik zwischen ihm und Zoe. Das Geplänkel zwischen den beiden und Haydens amüsante Art haben mich sehr gut unterhalten. Die Liebesgeschichte, die angedeutet wird, entwickelt sich hier quälend langsam und drängt die Haupthandlung nicht in den Hintergrund, was mich sehr positiv überrascht hat und mich auf die weitere Entwicklung im zweiten Band neugierig macht. Ebenso imponiert hat mir die Freundschaft zwischen Zoe und Miss Lucie, die sich über die Seiten aufbaut und immer weiter verstärkt. Zwar pflegen die beiden von Anfang an einen Umgang miteinander, der für die damalige Zeit unrealistisch ist, aber das Endprodukt hat mich sehr berührt und mich die beiden noch mehr ins Herz schließen lassen. Auch ihre Freundschaft möchte ich eigentlich gerne weiterverfolgen. Während in der ersten Hälfte noch ein Ziel und ein roter Faden fehlte, nimmt die Handlung in der zweiten Hälfte deutlichere Konturen an und wird definitiv spannender und actionreicher, sodass sie nicht einzig von Zoe und Haydens unterhaltsame Gespräche getragen werden muss. Nichtdestotrotz fehlte mir beim Plot doch das Besondere, das Geheimnisvolle, vielleicht sogar das Überraschende, denn auch wenn sich doch ein paar Fragen auftun und diese im ersten Band auch nicht geklärt werden, ist doch vieles ganz genau so konzipiert, wie man es erwartet. Für den zweiten Band würde ich mir definitiv ein paar Überraschungen wünschen. Als ich mich dazu entschlossen habe, dieses Buch zu lesen, wusste ich gar nicht, dass es auch noch einen zweiten Band geben wird. Das wird einem spätestens dann klar, wenn man auf die Leseprobe am Ende stößt. Auch wenn ich mit anderen Erwartungen ans Lesen herangegangen bin, sehe ich nach dem Ende definitiv ein, dass es einen zweiten Band geben muss, denn es bleiben einfach zu viele Fragen offen, als dass man die Geschichte noch schnell zu einem zufriedenstellenden Ende hätte führen können. Ich hätte mir aber einen Cliffhanger gewünscht, weil das Buch das meiner Meinung nach gebraucht hätte, um so etwas wie den versprochenen Suchtcharakter entstehen zu lassen. Stattdessen bricht die Handlung relativ abrupt ab und lässt einen definitiv neugierig, aber nicht leidend zurück. Ausnahmsweise hätte ich das sehr begrüßt, denn auch wenn ich neugierig auf die weiteren Entwicklungen bin, weiß ich nicht, ob ich den zweiten Band wirklich lesen muss. Für eine klare Antwort diesbezüglich hätte mich die Geschichte in ihrer Gänze noch mehr mitreißen müssen. Fazit Eine ganz unterhaltsame Zeitreisegeschichte für eher jüngere Leser*innen, die Zeit brauchte, um mich etwas ältere Leserin abzuholen. Letztendlich hat sie noch die Kurve gekriegt und wusste mich zu fesseln. Trotz des offenen Endes weiß ich aber noch nicht, ob ich Band 2 lesen werde, da mir definitiv das Besondere an der Geschichte fehlte. 3,5 Sterne!