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mabuerele

Posted on 11.3.2022

„...Noch nie hat er sie so gesehen: seine Stadt, seine Schöne. Sie scheint zwischen den beiden aufeinander zurollenden Hügeln zu ruhen wie eine schillernde Perle, eingehüllt in Dunst, der in der Sonne leuchtet...“ Es ist Jakobs letzter Blick auf Erfurt, bevor er sich abwendet. Er ist auf der Flucht. Was war geschehen? Die Autorin hat einen bewegenden historischen Roman geschrieben. Wie obiges Zitat zeigt, ist der Schriftstil sehr ausgereift. Wir schreiben das Jahr 1348. Merten, der Sohn des Schlächters, kann nach einer schweren Krankheit schlecht laufen. Nachfolger im Betrieb wird deshalb sein Zwillingsbruder Caspar. Merten hilft mit, seine Liebe aber gilt dem Zeichnen. Befreundet ist Merten mit Jakob und Naomi. Sie haben schon als Kinder zusammen gespielt. Ihr Vater ist ebenfalls Schlächter, allerdings gehört er zu den Juden der Stadt. Sehr detailliert wir das mittelalterliche Leben in Erfurt beschrieben. Da ich die Stadt kenne, habe ich viele der Orte einordnen können. Noch leben Juden und Christen einträglich nebeneinander. Aber schon ziehen dunkle Schatten herauf. Vertreter des Rates sind daran nicht unschuldig. Als Merten zu Jakobs Onkel Simson eingeladen wird, der ein bedeutendes Werk illustriert hat, kommt es zu einer interessanten Diskussion zum Thema Bilderverbot. „...Übrigens gelten die Zehn Gebote ja auch für euch Christen, und ihr scheut euch nicht vor den Bildern….“ Durch Jakob und Naomi erfahre ich eine Menge über die jüdischen Feiertage. Das gilt für die Vorbereitung und Feier des Schabbat, für eine jüdische Hochzeit oder Chanukka. Entsprechende Zitate aus der Thora begleiten das Geschehen. Dann aber spitzt sich die Lage zu. Jakob erlebt erste Anfeindungen. Tiefgehende Gespräche gibt es zwischen Jakob und Merten. Es klingt fast bitter, was Jakob konstatiert: „...Wahrscheinlich hast du recht, Merten. Vielleicht wäre es besser, wir hätten Kinder bleiben können.“ Merten und Naomi mögen sich. Es sind kleine Gesten, die das zeigen. Werden sie je eine Chance haben? Ab und an werden Worte von Bruder Eckhard angefügt. Der war für Jahren als Ketzer angeklagt worden. Michael, der Vater von Jakob und Naomi, hat für seine Kinder vorgesorgt. Er will sie rechtzeitig aus Erfurt bringen. Doch dann kommt alles anders. Es ist ausgerechnet eine Schabbat, an dem sich der Mob zusammenfindet. Die Zeichnung, die im Buch eine besondere Rolle spielt, ist abgebildet. Ein inhaltsreiches Nachwort gibt zusätzliche Informationen. Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es zeigt, wie weit Menschen zu gehen bereit sind, wenn sie ihre Ziele durchsetzen wollen. Plötzlich siegt Angst selbst über Dankbarkeit.

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